Wasser ist bei unserer Tour durch den Elb-Havel-Winkel das bestimmende Element. Die beiden Flüsse prägen die Landschaft, zwischen Wiesen und hinter Deichen entdecken wir mit dem Dörfchen Garz einen sehr besonderen Ort. Um Gemüseanbau und Wissensvermittlung geht es im IP Garten in Warnau, wo sich neue Technik und traditionelle Lebensmittelproduktion auf spannende Weise verbinden.
Sagenhaft beginnt unser Wochenende im Dorf Kamern — nicht nur weil die Sonne so vom Himmel strahlt. Am Ortsausgang wundern wir uns über einen merkwürdigen toten Kiefernstamm. Aufwändig präpariert sieht er aus, gekittet und mit Farbe bestrichen — es klingt dumpf, wenn man dagegenklopft. Was soll das, fragen wir uns. Die »Hedemicke«, so heißt dieser sorgsam konservierte Baum, ist der Startpunkt des Frau Harke-Sagenpfads. Der Legende nach lebte in heidnischen Zeiten die Riesin Frau Harke auf einem nahegelegenen Berg, dem Harkenberg. Weil sie sich eines Tages aber in ihrer Ruhe gestört fühlte, beschloss sie, die Gegend zu verlassen und nach Thüringen aufzubrechen. Bei ihrer Abreise stieß Frau Harke ihren Spinnrocken (den verästelten Stab, auf dem die noch zu verspinnenden Fasern gehalten werden) in den Boden. Und eben dieser Spinnrocken steht hier heute etwas mitgenommen vor uns. Das Hochwasser von 2013, das dem gesamten Elb-Havel-Winkel stark zugesetzt hat, nagte auch an der »Hedemicke«, bald soll an ihrer Stelle eine stabilere Nachbildung stehen.
Der Weg in Richtung der Kamerner Berge führt uns noch recht ortsnah ein Stück am Kamernschen See entlang, einem schmalen Rinnensee mit großzügig angelegter Badestelle und Bootsanlegeplatz. Zwei Kanufahrer genießen wie wir die sonnige Morgenstimmung. Auf der noch taunassen Wiese vor dem »Grünen Haus« tollen Kinder. Hier haben Stefanie und Andy Wischer einen offenen und freundlichen Ort für Familien geschaffen, an dem man ein Wochenende oder auch gleich die ganzen Ferien verbringen kann.
Dass wir uns ein Stück weiter, im Wald, schließlich auf dem Frau Harke-Sagenpfad befinden, zeigen uns Beschilderungen am Wegrand, die einmal eine große baumbestandene Senke als »Hexenkessel« ausweisen und ein andermal den »Berg der Ärgernis« beschreiben, der an einer Kreuzung in Form von aufgeschütteten Erdhaufen vor uns liegt. Ganz passend zur mythisch aufgeladenen Stimmung dieser Wanderstrecke zetern Krähen über uns in den Wipfeln. Eine Pilzsammlerin bewegt sich gebückt zwischen den Kiefernstämmen, hält inne als sie uns sieht und gewährt uns einen kurzen Blick auf ihre Beute. Mit einem stolzen Lächeln zeigt die Frau auf ein gutes Dutzend Maronen in ihrem Eimer, die sie innerhalb weniger Minuten gepflückt hat.
DAS GRÜNE HAUS
Zimmervermietung, Umwelt-, Druck- und Filzwerkstätten, Seminare
Am See 17
39524 Kamern
www.elbhavelnatur.de
TIPP
Weitere Infos zum Frau Harke-Sagenpfad findet ihr HIER.
An einer Kreuzung mitten im Wald machen wir Rast an einem ganz besonderen Ort: Über unseren Sitzbänken bildet eine fliegende Frau Harke-Figur die Überdachung der Raststätte. Ähnliche Frau Harke-Wegmarken sollen uns auf dem Frau Harke-Sagenpfad noch weitere Male begegnen. Insgesamt um die 18 solcher Sitzgruppen gibt es in der Umgebung — sehr zur Freude der rastsuchenden Radler und Wanderer. Die Idee zu diesem besonderen Projekt hatte der gemeinnützige Verein Kultour Elb-Havel-Winkel e.V. mit Sitz in Kamern. Zusammen mit einem Künstler wurden nach und nach unterschiedliche Frau Harke-Rastplätze entlang des Sagenpfades errichtet.
Schließlich erreichen wir mit dem Frau Harke-Berg die legendäre Wohnstätte der Riesin. Mit 110 Metern ist dieser Berg eine der höchsten Erhebungen im Umland. Oben erwartet uns wegen der umstehenden Bäume zwar keine so rechte Aussicht, aber dafür leuchtet die Sonne besonders schön auf den Weg, der vor uns liegt.
Hinter der Ortschaft Rehberg öffnet sich die Landschaft, über Felder erreichen wir gegen Mittag Warnau. Dort wartet in der Fischerstube Warnau bereits die Spezialität des Hauses auf uns: Mit der Fischplatte genießen wir alle Fische, die der Fischer in den umliegenden Gewässern an die Anglerschnur oder ins Netz bekommt. Sabine Schulze betreibt in zweiter Generation die Fischerstube, ihr Partner fischt tagtäglich den frischen Fang. Hecht, Zander, Aal, Wels und Flussbarsch fängt er im Gülper See, in der Havel und der Elbe. Der größte Wels, den Familie Schulze je gefangen hat, misst ganze 2,20 Meter und hängt heute präpariert als Anglertrophäe in der Fischerstube.
FISCHERSTUBE WARNAU
Havelweg 7
39539 Havelberg/Warnau
Zu Feiertagen wird auch Aal geräuchert.
www.fischerstube-warnau.de
Ein Warnauer Fischgericht klingt ganz besonders ... naja interessant: Bierfisch mit Milchreis, ein traditionelles Hochzeitsessen aus der Region. Allein die Kombination von Fisch und süßem Milchreis finden wir abenteuerlich. Aber auch der Sud, in dem der Fisch gekocht wird, hat es in sich: »Da ist Malzbier drin, Kaffee, Lebkuchen, Zwiebeln, noch andere Gewürze und dann der Fisch. Und über Nacht soll es durchziehen,« erklärt Sabine. Probieren können wir diese Spezialität des Hauses heute leider nicht, denn es gibt sie nur an Feiertagen wie Silvester und Ostern oder auf Vorbestellung. Alleine um den Bierfisch mit Milchreis einmal zu kosten, müssen wir unbedingt einmal wiederkommen!
IP GARTEN
www.ipgarten.de
Auf einem Acker am Ortsrand von Warnau stehen merkwürdige Pfähle mit Überwachungskameras. Jede Kamera zeichnet auf, was auf dem Stück Boden passiert, auf das sie gerichtet ist. Und was passiert? Es wachsen Pflanzen — verschiedene Gemüsesorten von der Möhre bis zum Mangold. Manchmal fliegt ein Schmetterling durchs Bild. Hier kann man 24/7 live seinem Gemüse beim Wachsen zusehen, die Geschehnisse werden über das Internet auf den heimischen Rechner übertragen. Auch unseren Besuch kann man live verfolgen, nachdem wir in das Sichtfeld der Überblickskamera treten. Ab hier sind wir jetzt im Internet zu sehen und kommen uns sofort beobachtet vor.
»
Bei uns wird das Ei dann 60 Cent kosten. Dafür kannst du das Huhn sehen und weißt wie es ihm geht.
«
Seit vier Jahren betreibt eine Gruppe Enthusiasten um die beiden Geschäftsführer Martin Kruszka und Torsten Hütter den den IP Garten. Das Konzept ist so simpel wie neuartig: Kunden können sich am PC mithilfe einer virtuellen Matrix ihre eigene Gartenparzelle anlegen. Das funktioniert so ähnlich wie beim Computerspiel FarmVille, es geht darum, virtuell einen Garten zu bewirtschaften. Der Clou beim IP Garten ist aber, dass die virtuelle Planung in einen realen Garten übertragen wird. In Warnau setzen echte Gärtner echte Kartoffeln in die Erde, aber eben ganz nach Auftrag des Kunden am Computerbildschirm. Das Gießen erfolgt nach Bedarf durch ein Bewässerungssystem in der Erde. Alle paar Meter sitzt ein Sensor im Boden, der den elektrischen Leitwert bestimmt und so über die Feuchtigkeit im Boden Auskunft gibt. Unkrautjäten und Düngen übernehmen die Gärtner — sofern der User diese Tätigkeiten beauftragt. Und natürlich wird das Gemüse dann auch geerntet und zur Abholung in die Stadt gebracht. Jeder Kunde hält am Ende seine eigenen Kartoffeln in der Hand, deren Entwicklung er per Webcam eine Saison lang beobachten konnte.
Die Idee zu diesem Projekt hatte Martin: »Meine Familie und ich haben vor ein paar Jahren diese Hütte hier gekauft. Und weil wir nur am Wochenende hier sind, konnten wir nicht genug gießen.« Da war es für den Berliner naheliegend, nach einer Lösung zu suchen, bei der man aus der Ferne steuern kann. Aber der IP Garten ist vor allem auch ein Bildungsprojekt. Die Kunden müssen ja schließlich selbst entscheiden wann sie welches Gemüse anpflanzen lassen wollen und wo in der Parzelle es platziert wird. »Die Großeltern, die ja alle noch ’nen Garten hatten, haben natürlich noch das Wissen.« Die meisten Städter müssten bei solchen Fragen aber erst einmal recherchieren. Oder den Landwirt fragen, der beratend zur Seite steht. »Wenn der Landwirt nach Hilfe gefragt wird, kann man das machen, aber man muss dafür bezahlen. Das ist sein Wissen, für das er entlohnt werden muss,« erklärt Martin. Denn ein grundsätzlicher Leitgedanke ist die Gemeinwohlökonomie. »Das bedeutet faire Löhne für alle. Aber auch ein fairer Preis. Beim Ei kann man das ganz gut sehen. Woanders kostet ein Ei 30 Cent. Wir werden bald auch Hühner haben, bei uns wird das Ei dann 60 Cent kosten. Dafür kannst du das Huhn sehen und du weißt wie es dem Huhn geht.«
Uns interessiert, wer die Kunden sind, die sich eine Parzelle im IP Garten mieten. »Das sind ganz normale Leute«, erklärt Martin. »Privatleute, die etwas übers Gärtnern lernen und ihr eigenes Gemüse essen wollen, aber nicht die Möglichkeit haben, selbst die Erde zu bestellen. Und wir bringen den Garten auch in die Schule, wir haben Schulklassen, die hier eine Parzelle betreuen.«
TIPP
Der »Havelspinner« Rainer Wittenburg gibt Einblicke in das Spinnen und Weben und bietet Erlebnistouren durch Garz und Havelberg an.
www.havelspinner.de
Über weite Wiesen und entlang schützender Deiche laufen wir von Warnau aus zum Haveldorf Garz hinüber. Kurz vor der Dämmerung gehen wir im Garzer Hafen aufs Wasser. Der »Havelspinner« Rainer Wittenburg lädt uns zu einer Bootstour auf der Havel ein. Rainer bewahrt und vermittelt die alten Handwerkskünste Spinnen und Weben und widmet sich zudem als Gästeführer den Geschichten und der Geschichte von Garz und Havelberg. Heute aber nimmt er uns ausnahmsweise mit auf sein Boot, denn auch über die Havel weiß er einiges zu erzählen: »Die Havel ist ein kurioser Fluss, sie entspringt eigentlich in einer unterirdischen Quelle an der Mecklenburgischen Seenplatte und macht einen ganz ungewöhnlichen Bogen. Erst fließt sie gen Süden. Über Spandau und Potsdam biegt sie dann ab nach Westen und mündet schließlich in die Elbe.« Ganz friedlich ist es hier in der Abendstimmung auf dem Fluss. Ein paar Angler sitzen rechts und links am Ufer und grüßen still als wir mit dem stetig summenden Motorboot an ihnen vorbei gleiten.
Zurück im Dorf Garz beziehen wir auf den Havelhöfen Quartier. Von dieser Anlage sind wir tief beeindruckt. Um eine pittoreske achteckige Fachwerkkirche ordnen sich mehrere ungewöhnlich hohe und stattliche Backsteinhöfe im Halbrund an. Wie uns der »Havelspinner« erklärt, wurden diese Gebäude Ende des 19. Jahrhunderts angelegt. Wohlhabende Bauern bauten sich so nach einem großen Brand ihre Höfe wieder auf. Zwei dieser Vierseithöfe bilden heute das Ensemble der Havelhöfe. Von der Radlerkoje bis zur Ferienwohnung stehen hier verschiedene Arten von Unterkünften und auch Seminarräume mit schlicht und geschmackvoll eingerichteten Räumen für Besucher bereit.
HAVELHÖFE GARZ
Alte Kirchstraße 6
39539 Hansestadt Havelberg
www.havelhoefe.de
Kulinarisch versorgen kann man sich in Garz in der HAFENKANTE und in Frau Kremers KAFFEESTUBE.
Der zweite Tag unserer Wandertour führt uns von der Havel an die Elbe, wir laufen Richtung Nordwesten. Auf einem lagen Spurbahnplattenweg lassen wir herbstliche Maisfelder und Wiesen an uns vorbeiziehen, hinter den Deichen breitet sich das Überschwemmungsbiet flach unter einem sonnigen Himmel aus. Hinter Neukamern biegen wir ab ins Jederitzer Holz. Dieses Waldstück steht unter Naturschutz, wild wuchern Büsche und Sträucher am Fuße hoher Bäume. Irgendwann wird der Weg allerdings immer nasser und gestrüppiger. Wir schlagen uns weiter durch, würden diese Route aber nur mit gutem Schuhwerk und einer Portion Abenteuerlust empfehlen. Als wir wieder aufs offene Feld hinaustreten, können wir rechts von uns schon die Silhouette der Stadt Havelberg sehen, unser Ziel für diesen Tag.
Zunächst aber schlagen wir noch einen Bogen in Richtung Sandau. Dort werfen wir einen Blick in die Kirche St. Laurentius und St. Nikolaus und treffen auf Wolfgang Hellwig, der sich mit viel Energie für den Wiederaufbau des 1945 zerstörten Kirchturms einsetzt. Seit 2002 wird mithilfe von Spenden und Fördermitteln an dem Bau gearbeitet. Heute wacht der Turm wieder in voller Größe über die kleine Stadt, nur der Innenausbau ist noch nicht ganz abgeschlossen. »Beim Wiederaufbau haben wir auf eine Mehrzwecknutzung des Gebäudes gesetzt,« erzählt der quirlige Mann, der Gründungsmitglied im Förderverein ist, der dieses Projekt stemmt. Ein Fahrstuhl ermöglicht den barrierefreien Zugang zu allen fünf Etagen, vom Dachstuhl bis zu den verschiedenen Veranstaltungsräumen schauen wir uns alles an. Und nicht nur wir tun das heute, mit uns steigt auch ein sehr interessiertes Ehepaar die Treppen hinauf. Die Kirche Sandau ist eine offene Kirche, hier sind Gäste immer willkommen. Ihre Lage am Elberadwanderweg und an der Straße der Romanik macht die Sandauer Kirche zu einem beliebten Ausflugsziel. Zurück im Kirchenschiff versorgt uns Heidemarie Breit, eine der vielen ehrenamtlichen Gastgeberinnen, mit einer kleinen Stärkung: »Eine Tasse Kaffee und Kekse bieten wir jeden einzelnen Tag in der Woche gerne an«.
WEITERE INFOS
zum Wiederaufbau des Sandauer Kirchtums gibt es HIER.
HAUS DER FLÜSSE
Informationszentrum des
Biosphärenreservates Mittelelbe
Elbstraße 2
39539 Hansestadt Havelberg
Eintritt frei
www.haus-der-fluesse.de
Der letzte Wegabschnitt, der uns schließlich nach Havelberg bringt, ist vielleicht der schönste dieser Tour. Schier endlos schlängelt sich der alte Elbdeich am Wasser entlang und über weite Wiesen. Die Radfahrer, die in dieser Gegend zahlreich sind, fahren lieber auf dem neu gemachten Deich ein paar Meter weiter. Deshalb ist es auf unserer Strecke schön ruhig und wir genießen die Aussicht von diesem leicht erhöhten Weg aus.
In Havelberg lohnt sich ein Abstecher an das am Wasser gelegene »Haus der Flüsse«. Hier informiert eine sehr unterhaltsam präsentierte Ausstellung über das Leben nahe Elbe und Havel im Laufe der Geschichte und gibt Einblick in Naturschutzthemen.
Diese Tour unternahmen wir in Zusammenarbeit mit dem Tourismus Elb-Havel-Winkel.
»Es gibt keine richtige Art Natur zu sehen. Es gibt hundert.«
— Kurt Tucholsky
Wasser ist bei unserer Tour durch den Elb-Havel-Winkel das bestimmende Element. Die beiden Flüsse prägen die Landschaft, zwischen Wiesen und hinter Deichen entdecken wir mit dem Dörfchen Garz einen sehr besonderen Ort. Um Gemüseanbau und Wissensvermittlung geht es im IP Garten in Warnau, wo sich neue Technik und traditionelle Lebensmittelproduktion auf spannende Weise verbinden.
Sagenhaft beginnt unser Wochenende im Dorf Kamern — nicht nur weil die Sonne so vom Himmel strahlt. Am Ortsausgang wundern wir uns über einen merkwürdigen toten Kiefernstamm. Aufwändig präpariert sieht er aus, gekittet und mit Farbe bestrichen — es klingt dumpf, wenn man dagegenklopft. Was soll das, fragen wir uns. Die »Hedemicke«, so heißt dieser sorgsam konservierte Baum, ist der Startpunkt des Frau Harke-Sagenpfads. Der Legende nach lebte in heidnischen Zeiten die Riesin Frau Harke auf einem nahegelegenen Berg, dem Harkenberg. Weil sie sich eines Tages aber in ihrer Ruhe gestört fühlte, beschloss sie, die Gegend zu verlassen und nach Thüringen aufzubrechen. Bei ihrer Abreise stieß Frau Harke ihren Spinnrocken (den verästelten Stab, auf dem die noch zu verspinnenden Fasern gehalten werden) in den Boden. Und eben dieser Spinnrocken steht hier heute etwas mitgenommen vor uns. Das Hochwasser von 2013, das dem gesamten Elb-Havel-Winkel stark zugesetzt hat, nagte auch an der »Hedemicke«, bald soll an ihrer Stelle eine stabilere Nachbildung stehen.
Der Weg in Richtung der Kamerner Berge führt uns noch recht ortsnah ein Stück am Kamernschen See entlang, einem schmalen Rinnensee mit großzügig angelegter Badestelle und Bootsanlegeplatz. Zwei Kanufahrer genießen wie wir die sonnige Morgenstimmung. Auf der noch taunassen Wiese vor dem »Grünen Haus« tollen Kinder. Hier haben Stefanie und Andy Wischer einen offenen und freundlichen Ort für Familien geschaffen, an dem man ein Wochenende oder auch gleich die ganzen Ferien verbringen kann.
Dass wir uns ein Stück weiter, im Wald, schließlich auf dem Frau Harke-Sagenpfad befinden, zeigen uns Beschilderungen am Wegrand, die einmal eine große baumbestandene Senke als »Hexenkessel« ausweisen und ein andermal den »Berg der Ärgernis« beschreiben, der an einer Kreuzung in Form von aufgeschütteten Erdhaufen vor uns liegt. Ganz passend zur mythisch aufgeladenen Stimmung dieser Wanderstrecke zetern Krähen über uns in den Wipfeln. Eine Pilzsammlerin bewegt sich gebückt zwischen den Kiefernstämmen, hält inne als sie uns sieht und gewährt uns einen kurzen Blick auf ihre Beute. Mit einem stolzen Lächeln zeigt die Frau auf ein gutes Dutzend Maronen in ihrem Eimer, die sie innerhalb weniger Minuten gepflückt hat.
DAS GRÜNE HAUS
Zimmervermietung, Umwelt-, Druck- und Filzwerkstätten, Seminare
Am See 17
39524 Kamern
www.elbhavelnatur.de
An einer Kreuzung mitten im Wald machen wir Rast an einem ganz besonderen Ort: Über unseren Sitzbänken bildet eine fliegende Frau Harke-Figur die Überdachung der Raststätte. Ähnliche Frau Harke-Wegmarken sollen uns auf dem Frau Harke-Sagenpfad noch weitere Male begegnen. Insgesamt um die 18 solcher Sitzgruppen gibt es in der Umgebung — sehr zur Freude der rastsuchenden Radler und Wanderer. Die Idee zu diesem besonderen Projekt hatte der gemeinnützige Verein Kultour Elb-Havel-Winkel e.V. mit Sitz in Kamern. Zusammen mit einem Künstler wurden nach und nach unterschiedliche Frau Harke-Rastplätze entlang des Sagenpfades errichtet.
TIPP
Weitere Infos zum Frau Harke-Sagenpfad findet ihr HIER.
Schließlich erreichen wir mit dem Frau Harke-Berg die legendäre Wohnstätte der Riesin. Mit 110 Metern ist dieser Berg eine der höchsten Erhebungen im Umland. Oben erwartet uns wegen der umstehenden Bäume zwar keine so rechte Aussicht, aber dafür leuchtet die Sonne besonders schön auf den Weg, der vor uns liegt.
Hinter der Ortschaft Rehberg öffnet sich die Landschaft, über Felder erreichen wir gegen Mittag Warnau. Dort wartet in der Fischerstube Warnau bereits die Spezialität des Hauses auf uns: Mit der Fischplatte genießen wir alle Fische, die der Fischer in den umliegenden Gewässern an die Anglerschnur oder ins Netz bekommt. Sabine Schulze betreibt in zweiter Generation die Fischerstube, ihr Partner fischt tagtäglich den frischen Fang. Hecht, Zander, Aal, Wels und Flussbarsch fängt er im Gülper See, in der Havel und der Elbe. Der größte Wels, den Familie Schulze je gefangen hat, misst ganze 2,20 Meter und hängt heute präpariert als Anglertrophäe in der Fischerstube.
FISCHERSTUBE WARNAU
Havelweg 7
39539 Havelberg/Warnau
Zu Feiertagen wird auch Aal geräuchert.
www.fischerstube-warnau.de
Ein Warnauer Fischgericht klingt ganz besonders ... naja interessant: Bierfisch mit Milchreis, ein traditionelles Hochzeitsessen aus der Region. Allein die Kombination von Fisch und süßem Milchreis finden wir abenteuerlich. Aber auch der Sud, in dem der Fisch gekocht wird, hat es in sich: »Da ist Malzbier drin, Kaffee, Lebkuchen, Zwiebeln, noch andere Gewürze und dann der Fisch. Und über Nacht soll es durchziehen,« erklärt Sabine. Probieren können wir diese Spezialität des Hauses heute leider nicht, denn es gibt sie nur an Feiertagen wie Silvester und Ostern oder auf Vorbestellung. Alleine um den Bierfisch mit Milchreis einmal zu kosten, müssen wir unbedingt einmal wiederkommen!
Auf einem Acker am Ortsrand von Warnau stehen merkwürdige Pfähle mit Überwachungskameras. Jede Kamera zeichnet auf, was auf dem Stück Boden passiert, auf das sie gerichtet ist. Und was passiert? Es wachsen Pflanzen — verschiedene Gemüsesorten von der Möhre bis zum Mangold. Manchmal fliegt ein Schmetterling durchs Bild. Hier kann man 24/7 live seinem Gemüse beim Wachsen zusehen, die Geschehnisse werden über das Internet auf den heimischen Rechner übertragen. Auch unseren Besuch kann man live verfolgen, nachdem wir in das Sichtfeld der Überblickskamera treten. Ab hier sind wir jetzt im Internet zu sehen und kommen uns sofort beobachtet vor.
IP GARTEN
www.ipgarten.de
»
Bei uns wird das Ei dann 60 Cent kosten. Dafür kannst du das Huhn sehen und weißt wie es ihm geht.
«
Seit vier Jahren betreibt eine Gruppe Enthusiasten um die beiden Geschäftsführer Martin Kruszka und Torsten Hütter den den IP Garten. Das Konzept ist so simpel wie neuartig: Kunden können sich am PC mithilfe einer virtuellen Matrix ihre eigene Gartenparzelle anlegen. Das funktioniert so ähnlich wie beim Computerspiel FarmVille, es geht darum, virtuell einen Garten zu bewirtschaften. Der Clou beim IP Garten ist aber, dass die virtuelle Planung in einen realen Garten übertragen wird. In Warnau setzen echte Gärtner echte Kartoffeln in die Erde, aber eben ganz nach Auftrag des Kunden am Computerbildschirm. Das Gießen erfolgt nach Bedarf durch ein Bewässerungssystem in der Erde. Alle paar Meter sitzt ein Sensor im Boden, der den elektrischen Leitwert bestimmt und so über die Feuchtigkeit im Boden Auskunft gibt. Unkrautjäten und Düngen übernehmen die Gärtner — sofern der User diese Tätigkeiten beauftragt. Und natürlich wird das Gemüse dann auch geerntet und zur Abholung in die Stadt gebracht. Jeder Kunde hält am Ende seine eigenen Kartoffeln in der Hand, deren Entwicklung er per Webcam eine Saison lang beobachten konnte.
Die Idee zu diesem Projekt hatte Martin: »Meine Familie und ich haben vor ein paar Jahren diese Hütte hier gekauft. Und weil wir nur am Wochenende hier sind, konnten wir nicht genug gießen.« Da war es für den Berliner naheliegend, nach einer Lösung zu suchen, bei der man aus der Ferne steuern kann. Aber der IP Garten ist vor allem auch ein Bildungsprojekt. Die Kunden müssen ja schließlich selbst entscheiden wann sie welches Gemüse anpflanzen lassen wollen und wo in der Parzelle es platziert wird. »Die Großeltern, die ja alle noch ’nen Garten hatten, haben natürlich noch das Wissen.« Die meisten Städter müssten bei solchen Fragen aber erst einmal recherchieren. Oder den Landwirt fragen, der beratend zur Seite steht. »Wenn der Landwirt nach Hilfe gefragt wird, kann man das machen, aber man muss dafür bezahlen. Das ist sein Wissen, für das er entlohnt werden muss,« erklärt Martin. Denn ein grundsätzlicher Leitgedanke ist die Gemeinwohlökonomie. »Das bedeutet faire Löhne für alle. Aber auch ein fairer Preis. Beim Ei kann man das ganz gut sehen. Woanders kostet ein Ei 30 Cent. Wir werden bald auch Hühner haben, bei uns wird das Ei dann 60 Cent kosten. Dafür kannst du das Huhn sehen und du weißt wie es dem Huhn geht.«
Uns interessiert, wer die Kunden sind, die sich eine Parzelle im IP Garten mieten. »Das sind ganz normale Leute«, erklärt Martin. »Privatleute, die etwas übers Gärtnern lernen und ihr eigenes Gemüse essen wollen, aber nicht die Möglichkeit haben, selbst die Erde zu bestellen. Und wir bringen den Garten auch in die Schule, wir haben Schulklassen, die hier eine Parzelle betreuen.«
Über weite Wiesen und entlang schützender Deiche laufen wir von Warnau aus zum Haveldorf Garz hinüber. Kurz vor der Dämmerung gehen wir im Garzer Hafen aufs Wasser. Der »Havelspinner« Rainer Wittenburg lädt uns zu einer Bootstour auf der Havel ein. Rainer bewahrt und vermittelt die alten Handwerkskünste Spinnen und Weben und widmet sich zudem als Gästeführer den Geschichten und der Geschichte von Garz und Havelberg. Heute aber nimmt er uns ausnahmsweise mit auf sein Boot, denn auch über die Havel weiß er einiges zu erzählen: »Die Havel ist ein kurioser Fluss, sie entspringt eigentlich in einer unterirdischen Quelle an der Mecklenburgischen Seenplatte und macht einen ganz ungewöhnlichen Bogen. Erst fließt sie gen Süden. Über Spandau und Potsdam biegt sie dann ab nach Westen und mündet schließlich in die Elbe.« Ganz friedlich ist es hier in der Abendstimmung auf dem Fluss. Ein paar Angler sitzen rechts und links am Ufer und grüßen still als wir mit dem stetig summenden Motorboot an ihnen vorbei gleiten.
TIPP
Der »Havelspinner« Rainer Wittenburg gibt Einblicke in das Spinnen und Weben und bietet Erlebnistouren durch Garz und Havelberg an.
www.havelspinner.de
Zurück im Dorf Garz beziehen wir auf den Havelhöfen Quartier. Von dieser Anlage sind wir tief beeindruckt. Um eine pittoreske achteckige Fachwerkkirche ordnen sich mehrere ungewöhnlich hohe und stattliche Backsteinhöfe im Halbrund an. Wie uns der »Havelspinner« erklärt, wurden diese Gebäude Ende des 19. Jahrhunderts angelegt. Wohlhabende Bauern bauten sich so nach einem großen Brand ihre Höfe wieder auf. Zwei dieser Vierseithöfe bilden heute das Ensemble der Havelhöfe. Von der Radlerkoje bis zur Ferienwohnung stehen hier verschiedene Arten von Unterkünften und auch Seminarräume mit schlicht und geschmackvoll eingerichteten Räumen für Besucher bereit.
HAVELHÖFE GARZ
Alte Kirchstraße 6
39539 Hansestadt Havelberg
www.havelhoefe.de
Kulinarisch versorgen kann man sich in Garz in der HAFENKANTE und in Frau Kremers KAFFEESTUBE.
Der zweite Tag unserer Wandertour führt uns von der Havel an die Elbe, wir laufen Richtung Nordwesten. Auf einem lagen Spurbahnplattenweg lassen wir herbstliche Maisfelder und Wiesen an uns vorbeiziehen, hinter den Deichen breitet sich das Überschwemmungsbiet flach unter einem sonnigen Himmel aus. Hinter Neukamern biegen wir ab ins Jederitzer Holz. Dieses Waldstück steht unter Naturschutz, wild wuchern Büsche und Sträucher am Fuße hoher Bäume. Irgendwann wird der Weg allerdings immer nasser und gestrüppiger. Wir schlagen uns weiter durch, würden diese Route aber nur mit gutem Schuhwerk und einer Portion Abenteuerlust empfehlen. Als wir wieder aufs offene Feld hinaustreten, können wir rechts von uns schon die Silhouette der Stadt Havelberg sehen, unser Ziel für diesen Tag.
Zunächst aber schlagen wir noch einen Bogen in Richtung Sandau. Dort werfen wir einen Blick in die Kirche St. Laurentius und St. Nikolaus und treffen auf Wolfgang Hellwig, der sich mit viel Energie für den Wiederaufbau des 1945 zerstörten Kirchturms einsetzt. Seit 2002 wird mithilfe von Spenden und Fördermitteln an dem Bau gearbeitet. Heute wacht der Turm wieder in voller Größe über die kleine Stadt, nur der Innenausbau ist noch nicht ganz abgeschlossen. »Beim Wiederaufbau haben wir auf eine Mehrzwecknutzung des Gebäudes gesetzt,« erzählt der quirlige Mann, der Gründungsmitglied im Förderverein ist, der dieses Projekt stemmt. Ein Fahrstuhl ermöglicht den barrierefreien Zugang zu allen fünf Etagen, vom Dachstuhl bis zu den verschiedenen Veranstaltungsräumen schauen wir uns alles an. Und nicht nur wir tun das heute, mit uns steigt auch ein sehr interessiertes Ehepaar die Treppen hinauf. Die Kirche Sandau ist eine offene Kirche, hier sind Gäste immer willkommen. Ihre Lage am Elberadwanderweg und an der Straße der Romanik macht die Sandauer Kirche zu einem beliebten Ausflugsziel. Zurück im Kirchenschiff versorgt uns Heidemarie Breit, eine der vielen ehrenamtlichen Gastgeberinnen, mit einer kleinen Stärkung: »Eine Tasse Kaffee und Kekse bieten wir jeden einzelnen Tag in der Woche gerne an«.
WEITERE INFOS
zum Wiederaufbau des Sandauer Kirchtums gibt es HIER.
Der letzte Wegabschnitt, der uns schließlich nach Havelberg bringt, ist vielleicht der schönste dieser Tour. Schier endlos schlängelt sich der alte Elbdeich am Wasser entlang und über weite Wiesen. Die Radfahrer, die in dieser Gegend zahlreich sind, fahren lieber auf dem neu gemachten Deich ein paar Meter weiter. Deshalb ist es auf unserer Strecke schön ruhig und wir genießen die Aussicht von diesem leicht erhöhten Weg aus.
In Havelberg lohnt sich ein Abstecher an das am Wasser gelegene »Haus der Flüsse«. Hier informiert eine sehr unterhaltsam präsentierte Ausstellung über das Leben nahe Elbe und Havel im Laufe der Geschichte und gibt Einblick in Naturschutzthemen.
HAUS DER FLÜSSE
Informationszentrum des
Biosphärenreservates Mittelelbe
Elbstraße 2
39539 Hansestadt Havelberg
Eintritt frei
www.haus-der-fluesse.de
Diese Tour unternahmen wir in Zusammenarbeit mit dem Tourismus Elb-Havel-Winkel.
»Es gibt keine richtige Art Natur zu sehen. Es gibt hundert.«
— Kurt Tucholsky