Die Gegend um den Liepnitzsee im Norden Berlins ist im Sommer ein wahrer Magnet für Ausflügler — und oft überlaufen. Im Winter es dort fast menschenleer und eine Wanderung umso empfehlenswerter. Die nahegelegene Klosterfelder Senfmühle hält für uns die richtigen Geschmäcker für diese Jahreszeit bereit: scharf, würzig und fruchtig ist das abwechslungsreiche, handgemachte Sortiment.
»Man kann doch ganz natürlich essen, ganz ohne irgendwelche Zusatzstoffe«, findet Monika Trautmann. An diesem Februarmorgen sitzen wir am kariert gedeckten Tisch in dem kleinen Verkaufsraum der Klosterfelder Senfmühle und sprechen darüber, was uns an Industriesenf stört. Die 59-Jährige bekommt leuchtende Augen, wenn sie von den vielen verschiedenen Sorten und fein abgestimmten Aromen der Senfe spricht, die sie hier zusammen mit ihrem Mann produziert. Davon möchten wir uns natürlich auch ein Bild machen und probieren uns durch ziemlich viele der knapp vierzig Sorten, die für die Besucher zum Verkosten aufgebaut sind. Bärlauchsenf, Tigerblut, Boulettensenf nach Berliner Art, Zitronensenf, oder die mit Frucht gemischten Smoothie-Senfe wie Preiselbeer- und Mangosenf — wir können gar nicht mehr aufhören mit dem Naschen. Und wirklich, sie schmecken allesamt fantastisch. Eben nach den Zutaten, die drin sind. Na gut, beim »Tigerblut« sind die Inhaltsstoffe Habanero-Chilis.
Neben den hübsch gestalteten Senfgläsern der Klosterfelder Senfmühle stehen auf den Schränken auch historische Senftöpfe, allesamt auf Flohmärkten zusammengetragen. Der älteste ist gar von 1820. Nebenan ist direkt die Manufaktur, Frau Trautmann zeigt uns wie sie und ihr Mann Reinhard Fell arbeiten. Seit 2008 produzieren sie in diesen Räumen, vorher haben sie bereits acht Jahre zu Hause Senfe hergestellt. »Zum Senf gekommen sind wir im Jahr 2000, vorher hatten wir einen Gewürzhandel«, blickt sie zurück. Die Großeltern ihres Mannes führten einen Kolonialwarenhandel, da hatte es auch immer Senf gegeben. Und als sich die beiden dann nach neuen Produkten umschauten, die sie produzieren wollten, lag es nahe mit den zwei alten Senfrezepten der Oma zu experimentieren. Mit »Omas Körnigem« und einem Knoblauchsenf sind sie gestartet. Ihre ersten Versuche haben sie auf Wochenmärkten zum Probieren angeboten und so wertvolles Feedback von Kunden gesammelt.
KLOSTERFELDER SENFMÜHLE
Zerpenschleuser Str. 34
16348 Wandlitz OT Klosterfelde
www.klosterfelder-senfmuehle.de
UNSER TIPP
Besucher sind jeden Tag unter der Woche gern gesehen in der Senfmühle. Im Onlineshop kann das Sortiment direkt nach Hause bestellt werden.
Dreierlei Senfsaaten aus Tschechien und Russland werden hier verarbeitet, jede hat ihre eigene Schärfe und Bitteraromen. Je nachdem was für eine Senfsorte gewünscht ist, variiert das Mischungsverhältnis. Ob es keine Brandenburger Senfsaaten gebe, fragen wir. Frau Trautmann verneint. Aber einen Senf mit Zutaten aus Klosterfelde gibt es trotzdem: der Honig im »Honigsenf« stammt direkt vom Nachbarn, der ist Imker. Kürbis, Apfel, Birne und Pflaume für die entsprechenden Senfsorten kommen ebenfalls aus der Region.
Doch zurück zur Senfsaat. Die wird zunächst geschrotet. Die Mühlen dafür hat Reinhard Fell selbstgebaut, eigentlich ist er nämlich Tischler. Anschließend wird eingemaischt, es werden Wasser, Essig, Zucker und Salz zugegeben und über Nacht ziehen gelassen. Dann wird das Ganze nass vermahlen, je nachdem wie grobkörnig oder fein der Senf sein soll, unterschiedlich lange. Bei den Smoothie-Senfen, die übrigens klasse zu Käse, Wild und in Salatsaucen passen, wird zuerst die Frucht gekocht, dann mit dem Mostrich vermischt und anschließend nochmals kurz aufgekocht. Auf die Nachfrage, was Mostrich sei, erfahren wir, dass Senf früher nicht mit Essig, sondern mit saurem Most angesetzt wurde. Daher stammt wohl das Wort, das heute nur noch Wenigen geläufig ist. Und wie lange ist Senf eigentlich haltbar? »Ein Jahr kann man ihn geöffnet stehen lassen, am besten im Dunkeln« weiß Monika Trautmann. Sie hält eines der Senfgläser hoch und berichtet weiter, dass Tochter Carolin das neue Design mit entwickelt hat, das die Etiketten der Klosterfelder Senfmühle seit 2015 ziert. Doch viele Kunden, die an das alte Etikett gewohnt waren, haben sich zunächst ziemlich am veränderten Erscheinungsbild gestört, »die waren so richtig stinkig«, muss Frau Trautmann heute darüber lachen.
Als wir unseren Rundgang beenden, wollen wir schließlich noch wissen, ob sie selbst überhaupt noch gerne Senf isst, wo sie ihn doch den ganzen Tag vor der Nase hat. Sie koche tatsächlich sehr viel mit Senf, am liebsten nimmt sie ihn für Saucen, sagt sie. »Ich brauche manchmal diese Schärfe, das will der Körper manchmal richtig«.
Richtung Osten laufen wir aus dem Ort hinaus in Richtung Bogensee. Kühl ist es, und grau. Von Anfang an freuen wir uns riesig auf unser Picknick. Passend zum gerade erstandenen Senf haben wir Brot, Käse und deftige Knacker dabei. In einem dichten Kiefernwald steigt uns der Duft von frischem Nadelholz in die Nase. Am Wegesrand türmen sich Holzstapel, der Waldboden ist zerfurcht. Heiser schreien Kraniche über uns als wir nach einer guten halben Stunde hinter einer Senke auf ein junges Birkenwäldchen stoßen. Auf der Karte ist hier ein Moor eingezeichnet, aber vor uns liegt zu unserer Überraschung ein kleiner See. Der Himmel leuchtet hinter all den Wolken hell und wir hoffen, dass uns die versteckte Sonne wärmt. Hier wollen wir picknicken. Zu Wurst und Käse probieren wir den fruchtig-pikanten »Smoothie-Senf Wildheidelbeere« und den »Scharfen Boris nach russischer Art«. Frisch und würzig schmecken sie beide, der eine nach reifen Sommerfrüchten, der andere hat ordentlich Wumms. Senf als Heilmittel gegen den Winterblues, dieser Idee sollte man mal nachgehen.
Nicht lange nachdem wir wieder aufbrechen erreichen wir den Waldrand und stoßen auf eine schmale geteerte Straße. Gegenüber steht hinter Bäumen ein alter Wachturm. Wir biegen nach rechts auf die Straße ein und folgen ihr bis zu einer Siedlung. Als wir näher kommen, wird uns klar, dass dies hier keine normale Siedlung ist. Wir finden uns auf einem weitläufigen Platz in der Mitte eines riesigen verlassenen Gebäudeensembles wieder. Die mächtige Architektur erinnert an die Berliner Karl-Marx-Allee, ehemals Stalinallee. Und tatsächlich zeichnet auch hier Herman Henselmann für die Bauten im Stil des Sozialistischen Klassizismus verantwortlich. Hier war ab 1950 die Jugendhochschule der FDJ ansässig, eine Kaderschmiede. Heute blättert überall der Putz von den Wänden, in Abziehstreifen löst sich die Farbe von den Mauern, Fensterscheiben sind eingeschlagen. Es wirkt gespenstisch. Dass hier alles so verfallen ist, liegt daran, dass auf dem Gelände auch noch der Landsitz von Joseph Goebbels steht. Das Land Berlin, das seit der Wende wieder Eigentümer ist, tut sich seit Jahren schwer mit dem Verkauf. Man fürchtet, dass das Gelände in falsche Hände gerät und sich zu einer Nazi-Pilgerstätte entwickeln könnte. Also schreitet der Verfall voran.
Der Bogensee selbst ist touristisch so gut wie nicht erschlossen, es gibt keine Badestellen und keinen Uferweg. Das hat wohl auch mit diesem schwierigen historischen Erbe zu tun, alles wirkt wenig zugänglich. Uns begegnen einzelne Spaziergänger und eine Gruppe Jugendlicher.
Nach einer Weile geht es für uns weiter durch den Wald Richtung Liepnitzsee. An einer dicken alten Kiefer beobachten wir etwas, das wir in Brandenburg schon öfter gesehen haben. In ihren Stamm ist ein fischgrätartiges Muster geschnitzt. Das sind Spuren aus der Zeit der DDR, hier wurde Baumharz gewonnen: Nachdem man die Rinde entfernt hatte, schnitt man zunächst eine tiefere senkrechte Rinne in das nackte Holz. Dann wurden nach und nach von oben nach unten schräg zulaufende Rillen gezogen, sodass das Harz, das der Baum nun verlor, über die Mittelrinne in einem Auffangtopf gesammelt werden konnte. Alle paar Tage versiegten die Harzströme und es musste nachgeschnitten werden. Das Harz war ein wertvolles Gut, das zur Herstellung von Pech, Teer und Terpentin verwendet wurde. Nach der Wende wurde das Harzen eingestellt, schließlich konnte der Rohstoff mittlerweile synthetisch hergestellt werden.
Nachdem wir das Dörfchen Ützdorf passieren, gelangen wir an den Ostzipfel des Liepnitzsees. Am Nordufer führt unser Weg vorbei an unzähligen Stegen, die durch das Schilf hindurch auf das Gewässer führen. Ein Teil der Strecke verläuft oberhalb des Sees an einem Steilufer, von hier aus hat man einen erhabenen Blick durch die kahlen Buchen hindurch auf das gefrorene Wasser. Enten sitzen auf Eisschollen, und wir sind uns einig, dass so ein Ausflug zum Liepnitzsee gerade auch im Winter seinen Reiz hat. Im Gegensatz zur überlaufenen Sommersaison haben wir die Aussicht auf die Insel Werder heute ganz für uns. Am Westende des Sees biegen wir schließlich ab in den Wald in Richtung Wandlitz. Vollgetankt mit viel frischer Luft und glücklich über unsere Gläser voll Senf steigen wir hier in den Zug zurück nach Berlin.
UNSER TIPP
Der Lieptnitzsee lässt sich übrigens auch prima zu Fuß umrunden. Ein kühles Getränk bekommt man auf dem Weg beim Hotel & Restaurant Jägerheim Ützdorf. Und im Sommer lohnt sich die Fährfahrt zur Insel Werder, dort gibt es auch eine kleine Gaststätte. Mutige können vom Ufer auch zur Insel schwimmen.
»Es gibt keine richtige Art Natur zu sehen. Es gibt hundert.«
— Kurt Tucholsky
Die Gegend um den Liepnitzsee im Norden Berlins ist im Sommer ein wahrer Magnet für Ausflügler — und oft überlaufen. Im Winter es dort fast menschenleer und eine Wanderung umso empfehlenswerter. Die nahegelegene Klosterfelder Senfmühle hält für uns die richtigen Geschmäcker für diese Jahreszeit bereit: scharf, würzig und fruchtig ist das abwechslungsreiche, handgemachte Sortiment.
»Man kann doch ganz natürlich essen, ganz ohne irgendwelche Zusatzstoffe«, findet Monika Trautmann. An diesem Februarmorgen sitzen wir am kariert gedeckten Tisch in dem kleinen Verkaufsraum der Klosterfelder Senfmühle und sprechen darüber, was uns an Industriesenf stört. Die 59-Jährige bekommt leuchtende Augen, wenn sie von den vielen verschiedenen Sorten und fein abgestimmten Aromen der Senfe spricht, die sie hier zusammen mit ihrem Mann produziert. Davon möchten wir uns natürlich auch ein Bild machen und probieren uns durch ziemlich viele der knapp vierzig Sorten, die für die Besucher zum Verkosten aufgebaut sind. Bärlauchsenf, Tigerblut, Boulettensenf nach Berliner Art, Zitronensenf, oder die mit Frucht gemischten Smoothie-Senfe wie Preiselbeer- und Mangosenf — wir können gar nicht mehr aufhören mit dem Naschen. Und wirklich, sie schmecken allesamt fantastisch. Eben nach den Zutaten, die drin sind. Na gut, beim »Tigerblut« sind die Inhaltsstoffe Habanero-Chilis.
Neben den hübsch gestalteten Senfgläsern der Klosterfelder Senfmühle stehen auf den Schränken auch historische Senftöpfe, allesamt auf Flohmärkten zusammengetragen. Der älteste ist gar von 1820. Nebenan ist direkt die Manufaktur, Frau Trautmann zeigt uns wie sie und ihr Mann Reinhard Fell arbeiten. Seit 2008 produzieren sie in diesen Räumen, vorher haben sie bereits acht Jahre zu Hause Senfe hergestellt. »Zum Senf gekommen sind wir im Jahr 2000, vorher hatten wir einen Gewürzhandel«, blickt sie zurück. Die Großeltern ihres Mannes führten einen Kolonialwarenhandel, da hatte es auch immer Senf gegeben. Und als sich die beiden dann nach neuen Produkten umschauten, die sie produzieren wollten, lag es nahe mit den zwei alten Senfrezepten der Oma zu experimentieren. Mit »Omas Körnigem« und einem Knoblauchsenf sind sie gestartet. Ihre ersten Versuche haben sie auf Wochenmärkten zum Probieren angeboten und so wertvolles Feedback von Kunden gesammelt.
KLOSTERFELDER SENFMÜHLE
Zerpenschleuser Str. 34
16348 Wandlitz OT Klosterfelde
www.klosterfelder-senfmuehle.de
UNSER TIPP
Besucher sind jeden Tag unter der Woche gern gesehen in der Senfmühle. Im Onlineshop kann das Sortiment direkt nach Hause bestellt werden.
Dreierlei Senfsaaten aus Tschechien und Russland werden hier verarbeitet, jede hat ihre eigene Schärfe und Bitteraromen. Je nachdem was für eine Senfsorte gewünscht ist, variiert das Mischungsverhältnis. Ob es keine Brandenburger Senfsaaten gebe, fragen wir. Frau Trautmann verneint. Aber einen Senf mit Zutaten aus Klosterfelde gibt es trotzdem: der Honig im »Honigsenf« stammt direkt vom Nachbarn, der ist Imker. Kürbis, Apfel, Birne und Pflaume für die entsprechenden Senfsorten kommen ebenfalls aus der Region.
Doch zurück zur Senfsaat. Die wird zunächst geschrotet. Die Mühlen dafür hat Reinhard Fell selbstgebaut, eigentlich ist er nämlich Tischler. Anschließend wird eingemaischt, es werden Wasser, Essig, Zucker und Salz zugegeben und über Nacht ziehen gelassen. Dann wird das Ganze nass vermahlen, je nachdem wie grobkörnig oder fein der Senf sein soll, unterschiedlich lange. Bei den Smoothie-Senfen, die übrigens klasse zu Käse, Wild und in Salatsaucen passen, wird zuerst die Frucht gekocht, dann mit dem Mostrich vermischt und anschließend nochmals kurz aufgekocht. Auf die Nachfrage, was Mostrich sei, erfahren wir, dass Senf früher nicht mit Essig, sondern mit saurem Most angesetzt wurde. Daher stammt wohl das Wort, das heute nur noch Wenigen geläufig ist. Und wie lange ist Senf eigentlich haltbar? »Ein Jahr kann man ihn geöffnet stehen lassen, am besten im Dunkeln« weiß Monika Trautmann. Sie hält eines der Senfgläser hoch und berichtet weiter, dass Tochter Carolin das neue Design mit entwickelt hat, das die Etiketten der Klosterfelder Senfmühle seit 2015 ziert. Doch viele Kunden, die an das alte Etikett gewohnt waren, haben sich zunächst ziemlich am veränderten Erscheinungsbild gestört, »die waren so richtig stinkig«, muss Frau Trautmann heute darüber lachen.
Als wir unseren Rundgang beenden, wollen wir schließlich noch wissen, ob sie selbst überhaupt noch gerne Senf isst, wo sie ihn doch den ganzen Tag vor der Nase hat. Sie koche tatsächlich sehr viel mit Senf, am liebsten nimmt sie ihn für Saucen, sagt sie. »Ich brauche manchmal diese Schärfe, das will der Körper manchmal richtig«.
Richtung Osten laufen wir aus dem Ort hinaus in Richtung Bogensee. Kühl ist es, und grau. Von Anfang an freuen wir uns riesig auf unser Picknick. Passend zum gerade erstandenen Senf haben wir Brot, Käse und deftige Knacker dabei. In einem dichten Kiefernwald steigt uns der Duft von frischem Nadelholz in die Nase. Am Wegesrand türmen sich Holzstapel, der Waldboden ist zerfurcht. Heiser schreien Kraniche über uns als wir nach einer guten halben Stunde hinter einer Senke auf ein junges Birkenwäldchen stoßen. Auf der Karte ist hier ein Moor eingezeichnet, aber vor uns liegt zu unserer Überraschung ein kleiner See. Der Himmel leuchtet hinter all den Wolken hell und wir hoffen, dass uns die versteckte Sonne wärmt. Hier wollen wir picknicken. Zu Wurst und Käse probieren wir den fruchtig-pikanten »Smoothie-Senf Wildheidelbeere« und den »Scharfen Boris nach russischer Art«. Frisch und würzig schmecken sie beide, der eine nach reifen Sommerfrüchten, der andere hat ordentlich Wumms. Senf als Heilmittel gegen den Winterblues, dieser Idee sollte man mal nachgehen.
Nicht lange nachdem wir wieder aufbrechen erreichen wir den Waldrand und stoßen auf eine schmale geteerte Straße. Gegenüber steht hinter Bäumen ein alter Wachturm. Wir biegen nach rechts auf die Straße ein und folgen ihr bis zu einer Siedlung. Als wir näher kommen, wird uns klar, dass dies hier keine normale Siedlung ist. Wir finden uns auf einem weitläufigen Platz in der Mitte eines riesigen verlassenen Gebäudeensembles wieder. Die mächtige Architektur erinnert an die Berliner Karl-Marx-Allee, ehemals Stalinallee. Und tatsächlich zeichnet auch hier Herman Henselmann für die Bauten im Stil des Sozialistischen Klassizismus verantwortlich. Hier war ab 1950 die Jugendhochschule der FDJ ansässig, eine Kaderschmiede. Heute blättert überall der Putz von den Wänden, in Abziehstreifen löst sich die Farbe von den Mauern, Fensterscheiben sind eingeschlagen. Es wirkt gespenstisch. Dass hier alles so verfallen ist, liegt daran, dass auf dem Gelände auch noch der Landsitz von Joseph Goebbels steht. Das Land Berlin, das seit der Wende wieder Eigentümer ist, tut sich seit Jahren schwer mit dem Verkauf. Man fürchtet, dass das Gelände in falsche Hände gerät und sich zu einer Nazi-Pilgerstätte entwickeln könnte. Also schreitet der Verfall voran.
Der Bogensee selbst ist touristisch so gut wie nicht erschlossen, es gibt keine Badestellen und keinen Uferweg. Das hat wohl auch mit diesem schwierigen historischen Erbe zu tun, alles wirkt wenig zugänglich. Uns begegnen einzelne Spaziergänger und eine Gruppe Jugendlicher.
Nach einer Weile geht es für uns weiter durch den Wald Richtung Liepnitzsee. An einer dicken alten Kiefer beobachten wir etwas, das wir in Brandenburg schon öfter gesehen haben. In ihren Stamm ist ein fischgrätartiges Muster geschnitzt. Das sind Spuren aus der Zeit der DDR, hier wurde Baumharz gewonnen: Nachdem man die Rinde entfernt hatte, schnitt man zunächst eine tiefere senkrechte Rinne in das nackte Holz. Dann wurden nach und nach von oben nach unten schräg zulaufende Rillen gezogen, sodass das Harz, das der Baum nun verlor, über die Mittelrinne in einem Auffangtopf gesammelt werden konnte. Alle paar Tage versiegten die Harzströme und es musste nachgeschnitten werden. Das Harz war ein wertvolles Gut, das zur Herstellung von Pech, Teer und Terpentin verwendet wurde. Nach der Wende wurde das Harzen eingestellt, schließlich konnte der Rohstoff mittlerweile synthetisch hergestellt werden.
Nachdem wir das Dörfchen Ützdorf passieren, gelangen wir an den Ostzipfel des Liepnitzsees. Am Nordufer führt unser Weg vorbei an unzähligen Stegen, die durch das Schilf hindurch auf das Gewässer führen. Ein Teil der Strecke verläuft oberhalb des Sees an einem Steilufer, von hier aus hat man einen erhabenen Blick durch die kahlen Buchen hindurch auf das gefrorene Wasser. Enten sitzen auf Eisschollen, und wir sind uns einig, dass so ein Ausflug zum Liepnitzsee gerade auch im Winter seinen Reiz hat. Im Gegensatz zur überlaufenen Sommersaison haben wir die Aussicht auf die Insel Werder heute ganz für uns. Am Westende des Sees biegen wir schließlich ab in den Wald in Richtung Wandlitz. Vollgetankt mit viel frischer Luft und glücklich über unsere Gläser voll Senf steigen wir hier in den Zug zurück nach Berlin.
UNSER TIPP
Der Lieptnitzsee lässt sich übrigens auch prima zu Fuß umrunden. Ein kühles Getränk bekommt man auf dem Weg beim Hotel & Restaurant Jägerheim Ützdorf. Und im Sommer lohnt sich die Fährfahrt zur Insel Werder, dort gibt es auch eine kleine Gaststätte. Mutige können vom Ufer auch zur Insel schwimmen.
»Es gibt keine richtige Art Natur zu sehen. Es gibt hundert.«
— Kurt Tucholsky