Obwohl sie sich im Frühjahr noch mitten im Aufbau befindet, gewährt uns Fischmann Micha Einblick in seine Räucherei mit Sommerwirtschaft in Gerswalde. Auf dieser vorfrühlingshaften Wandertour durch die Uckermark begeistern uns herzliche Begegnungen und die eiszeitlich geprägte Landschaft.
Gegen Mittag betreten wir das gepflasterte Rondell vor dem alten Bahnhofsgebäude im uckermärkischen Wilmersdorf. Nur aus Gewohnheit werfen wir nochmal einen Blick auf den Busfahrplan, als uns ein Schreck durchfährt. Der Bus, der uns zum 20 Kilometer entfernten Startpunkt unserer Tour in Neudorf bringen soll, ist ein Rufbus — und wir haben vergessen, zu reservieren! Das Prinzip Rufbus kennen wir schon lange und haben es oft genutzt. Nur heute haben wir es irgendwie verpennt. Ok, was jetzt? Wie sollen wir nun nach Neudorf kommen? Wir sehen wohl ziemlich verzweifelt aus an diesem verlassenen Dorfbahnhof. Jedenfalls geht bei einem der gerade abfahrenden Autos die Tür wieder auf und ein sympathisches Gesicht lächelt uns an. Es ist Anett, die hier ihren Freund Simon vom Zug abholt. Sie ist noch ganz neu in der Gegend und bietet an, uns ein Stück mitzunehmen. »So lerne ich gleich die Umgebung noch besser kennen. Wo wollt ihr denn hin?« Wow, wir sind ganz baff von ihrer Hilfsbereitschaft. Auf der Fahrt erfahren wir, dass unsere Retter in der Not beide als Apotheker arbeiten. Sie sind etwa gleich alt wie wir und wollen an diesem Wochenende ebenfalls die Uckermark erkunden. Wie es der Zufall will hat Anett gerade eine Stelle in der Gerswalder Apotheke angetreten. Wir nehmen uns gleich vor, sie mit unserem heutigen Interviewpartner, dem Gerswalder »Fischmann« Micha, zu verknüpfen. Was für eine tolle Begegnung!
TIPP
Rufbusse müssen rechtzeitig (manchmal schon am Vortag) reserviert werden. Die genauen Angaben zu Telefonnummer, Anrufzeiten der Telefonzentrale und den Reservierungsfristen erfährt man auf dem Fahrplan bzw. im Internet unter www.vbb.de.
Von Neudorf aus laufen wir in nordwestlicher Richtung zum Stiernsee. Das heißt, eigentlich führt unser Weg nur daran vorbei. Aber es lockt eine hübsche kleine Badestelle, die wir uns genauer ansehen. Zwar haben wir bei diesem grauen, kühlen Wetter keinerlei Badelust — immerhin blühen gerade die Schneeglöckchen — wir wollen uns diesen Ort aber unbedingt für den Sommer merken. Weiter geht es im Rechtsbogen durch den Wald. Eigentlich erwarten wir zu dieser Jahreszeit keine botanischen Wunder, wir sind froh, dass die knospenden Zweige der Büsche und Bäume so langsam den Winter beenden. Doch bei dem, was da aussieht wie ganz normales Gras, müssen wir zweimal hingucken. Ist das wirklich Schnittlauch? Ja, der Geruch bestätigt unsere Vermutung, wir können bei unserem Picknick Ei mit wildem Schnittlauch genießen. (Natürlich warnen wir an dieser Stelle ausdrücklich davor, Pflanzen zu essen, die man zuvor nicht eindeutig bestimmt hat. Versteht sich ja von selbst.)
Während unserer Wanderung begleitet uns immer wieder das Knattern von Motorsägen. Heute sind wirklich viele Waldarbeiter im Einsatz. Als wir das kleine Örtchen Herrenstein erreichen, fällt uns sofort die Hotelanlage Schloss Herrenstein ins Auge. Mit Wellness, Reiten und Minigolf kann man hier sein Wochenende verbringen. Obwohl wir nicht in der 4-Sterne-Anlage in Herrenstein absteigen, übernachten auch wir in ziemlich herrschaftlichem Ambiente: in der Pension an der Wasserburg im ehemaligen Schloss Gerswalde.
GLUT & SPÄNE —
SOMMERWIRTSCHAFT
Dorfmitte 11
17268 Gerswalde
geöffnet im Sommer,
jeden Samstag ab 12 Uhr
www.glutundspaene.de
Es qualmt aus den Schornsteinen zweier schwarzer Räucheröfen. Mit der flachen Hand kontrolliert Michael Wickert auf der schrägen Dachfläche der Öfen die Temperatur. Je nachdem wie warm es dort wird, muss er für mehr oder weniger Luftzufuhr sorgen. »Ich teste hier oben die Temperatur. Immer mal wieder mach ich das hier auf, lasse es wieder mehr brennen, dann mach ich wieder zu.« Der Wahlberliner, der eigentlich vom Bodensee kommt, schiebt sich seine dunkle Wollmütze aus der Stirn, geht in die Hocke und dreht den Schieberegler am unteren Ende beider Öfen. »Die Glut ist jetzt abgebrannt, da gebe ich jetzt zweierlei Holz drauf: Das hier ist Wacholderholz und das hier ist Buche«. Er zieht die Tür auf und wirft ein paar Scheite hinein. Das Wacholderholz hat wie die Beere ätherische Öle. Das gibt ein schönes Aroma, heißt es. Unten beginnt die Glut zu lodern. »Oben machen wir mal kurz auf, aber das soll nicht brennen. Ich räuchere bei relativ niedriger Temperatur. Der Fisch soll nicht zu heiß werden. 85 bis 90°C sind gut, man sollte aber auch mal auf 100°C kommen«, verrät er.
Den Fisch, es sind gut zwei Dutzend Lachsforellen, haben wir zuvor gemeinsam auf Haken gesteckt: Einmal durch das Maul fädeln, dann den Haken drehen und links und rechts der Wirbelsäule zwei kleine Dorne ins Fleisch stechen. Und unbedingt die ganze Zeit mit dem Daumen festhalten, sonst flutscht der Fisch wieder runter vom Haken. Ziemlich glitschig und irgendwie sperrig, so ein Fischkörper. »Das sind Teichfische, die sind gezüchtet, kommen aus Angermünde oder Boitzenburg,« erklärt der Fischmann die Herkunft seiner Rohware. »Die Region soll profitieren. Ich kaufe den Fischern der Umgebung den Fisch zu ’nem guten Preis ab und veredele ihn dann.«
Das Räuchern ist zeitintensiv, eineinhalb bis zwei Stunden lang steht Micha neben seinen Öfen. Länger als fünf Minuten lässt er sie nie allein. »Ich mach nochmal auf. Was man jetzt schon schön riechen kann, ist das Wacholderholz, diese Süße.« Und wie — aus dem Inneren des Ofens duftet es herrlich. Die Fische bekommen langsam eine goldene Farbe. Nach gefühlt hundertmaligem Öffnen und Schließen der Öfen, nachdem auch noch Buchenspäne zugegeben wurden und immer wieder mit der Hand die Temperatur am Dach gemessen wurde, sind die Fische irgendwann fertig und werden zum Abkühlen zwischen zwei Tischlerböcke gehängt.
Während wir so stehen und den Fisch im Ofen betreuen kommen immer wieder Neugierige vorbei, die auch mal einen Blick auf den Räucherfisch werfen wollen. Teils sind das Nachbarn, teils Besucher von Nachbarn, die geschickt wurden »um dem Fischmann über die Schulter zu gucken«. Mit allen kommt man nett ins Gespräch, Micha erzählt von seiner Arbeit und von seinem Fisch. Und von seinem großen Vorhaben: Ab Sommer sollen sich hier auf dem Gelände der ehemaligen Schlossgärtnerei wochenends Gäste tummeln, Räucherfisch kaufen, sich mit einem kleinen gastronomischen Angebot vergnügen und eine gute Zeit haben. Bei unserem Besuch sieht alles noch gut nach Baustelle aus, aber wir erahnen, dass dieser Ort einmal bezaubernd wird. Denn als wir ein paar Schritte gehen, liegt vor uns ein großer terrassierter Garten. Trotz matschigem Boden und Winterstimmung nimmt uns das Licht, in das der Südhang getaucht ist, sofort gefangen. Die Sonne wärmt die Gartenbeete, und man hat sofort vor Augen wie schön es hier im Sommer sein muss. »Die Schlossgärtnerei gibt es ungefähr seit 150–200 Jahren,« weiß Micha über das Gelände zu berichten. Zweieinhalb Jahre werkelt er hier nun schon, hat regelmäßig helfende Freunde und Bekannte aus der Stadt zu Arbeitseinsätzen motivieren können und bezieht auch die Gerswalder mit ein.
TIPP
Wer Michas Fisch auch in Berlin genießen will, kann dies mithilfe von »Marktschwärmer« tun www.marktschwaermer.de. Außerdem kann man Micha für Caterings buchen und seinen Fisch ab Herbst in ausgesuchten Berliner Restaurants genießen. Interessierte können in Gerswalde auch einen Räucherkurs besuchen.
»Hier kommt die Sommerwirtschaft hin,« deutet er auf die aufgewühlte Erde vor einem Ziegelbau, in dem gerade Fliesen verlegt werden. »Mit einer breiten Markise. Immer samstags ab 12 Uhr kann man dann direkt aus dem Ofen die Fische kaufen, oder auch was Kleines essen«. Das klingt nach einem tollen Konzept: Samstags von Berlin aus raus aufs Land. Eine Stunde Autofahrt, zum Mittagessen ist man dann in Gerswalde. Und man muss es nicht beim Räucherfisch belassen. Zwei charmante Japanerinnen bauen gerade das nebenstehende Glashaus auf dem Gelände aus. Hier sollen bald schon Kaffee und Kuchen und typisch japanische Snacks serviert werden. Ayumi und Sayuri betreiben bisher auf dem Nachbarhof das café zum löwen und bieten ihre Köstlichkeiten dort an. Und es ist noch Platz für weitere motivierte Leute, die sich mit ihren kulinarischen Visionen hier einbringen wollen: »Da drüben steht eine Bierbrauerei, 1852–1904 betrieben. Wir suchen jemanden, der Bier braut. Und wir suchen auch jemanden, der bäckt,« wirbt Micha und strahlt dabei eine ansteckende Begeisterung für sein Projekt aus. Wie zum Beweis dafür, was Gerswalde für ein idyllischer Ort ist, dreht Micha eine Runde mit uns durch das Dorf. Vorbei an der Ruine der Wasserburg mit dem Fischereimuseum und der Heimatstube, hinter der Kirche entlang schlendern wir zu einem seiner Lieblingsorte: An an einem Gartentor stellt er uns Renate vor. Die fröhliche Dame mit dem grünen Daumen hat sich hinter ihrem Haus einen riesigen Garten angelegt. Noch liegt die Erde brach und wartet auf den Frühling. »Aber bald geht’s los, im Sommer ist das hier voll mit Auberginen, Artischocken, Kalebassen, also so großen Flaschenkürbissen«, schwärmt Renate und lädt uns ein, unbedingt in der wärmeren Jahreszeit wieder zu kommen. Zurück auf dem Gelände der Schlossgärtnerei sind wir tatsächlich ein wenig verliebt in diesen hübschen kleinen Ort und in die Menschen hier, die uns alle so offen und freundlich begegnet sind.
CAFÉ ZUM LÖWEN
Dorfmitte 7,
17268 Gerswalde
www.ayumisaito.com/zumlowen
TIPP
Micha kennt die Gegend um Gerswalde besonders gut. Besuchern der Region empfiehlt er den schönen CAMPINGPLATZ am Oberuckersee, die ÖLMÜHLE BLANKENSEE und das GUTSHAUS FRIEDENFELDE zum (Flamm-)Kuchenessen. Weitere Tipps findet ihr auf seiner WEBSITE.
Micha ist auch ganz begeistert, als wir von Anett, der neuen Apothekerin, erzählen. Für den Ort und gerade für die älteren Leute sei es wichtig, dass die Apotheke weiter betrieben wird. Unsere Neuigkeiten über die frisch Zugezogene sind also eine gute Nachricht. Bevor wir uns von Micha verabschieden und unsere Unterkunft beziehen, suchen wir uns für das Picknick am nächsten Tag noch zwei geräucherte Fische aus. Der Geschmack ist wirklich etwas Besonderes und meilenweit von dem entfernt, was man im Supermarkt kaufen kann. Saftig und mit ganz feinen Aromen zergeht uns der Proviant am nächsten Tag auf der Zunge.
»Die Region soll profitieren. Ich kaufe den Fischern der Umgebung den Fisch zu einem guten Preis ab und veredele ihn dann.«
Vermutlich ist die Gerswalder Wasserburg im 13. Jahrhundert als askanische Verteidigungsanlage errichtet worden. Fast 500 Jahre lang waren Burg und später auch Schloss dann in den Händen der Familie von Arnim, deren Nachhall einem in Brandenburg in gefühlt jedem Ort mit historischen Landsitzen begegnet. Heute ist die Burg eine — wenn auch beeindruckende — Ruine. Der namensgebende See hat sich ein ganzes Stück hinter das Gebäude zurückgezogen und reicht nicht mehr bis an die Anlage heran. Doch die Ruine ist immer noch belebt, Freiluftkino und jährliches Burgfest haben sich etabliert, und man kann sich im Gewölbekeller sogar mit Mittelalterflair das Ja-Wort geben.
PENSION AN DER WASSERBURG
Dorfmitte 17,
17268 Gerswalde
www.pension-wasserburg-uckermark.de
Beseelt von so vielen schönen Begegnungen und sehenswerten Orten verlassen wir Gerswalde am nächsten Morgen nach Nordwesten. Der blaue Himmel hinter Wolkenschlieren lässt uns den Sommer fast schon riechen, obwohl die bauschigen Weidenkätzchen noch ganz deutlich auf den Vorfrühling verweisen. Unser Weg ist abwechslungsreich, mal führen sandige Wege zwischen Kiefern hindurch, mal laufen wir im Windschutz am Waldrand entlang und blicken auf das erste Grün auf den Feldern.
Im Osten liegen die zwei Uckerseen in der eiszeitlich geformten Landschaft. Bevor wir in die Nähe von Fergitz mit seinem aufragenden Kirchturm kommen, können wir durch kahle Büsche hindurch den Oberuckersee in der Sonne glitzern sehen. Von der Anhöhe aus hat mein einen tollen Panoramablick hinunter zum See. Parallel zum Ufer führt uns der Weg zum geografischen Mittelpunkt der Uckermark, wie uns die Plakette auf einem großen Stein am Straßenrand verrät. Direkt dahinter überqueren wir die Ucker, die am Nordufer eine Verbindung zum nördlich gelegenen Unteruckersee schlägt. Jetzt ist Seehausen nicht mehr weit, bis zum Bahnhof geht es nun noch eine Weile an der Straße entlang. Google Maps zeigt hier irritierenderweise zwei Bahnhöfe — den alten, der nicht mehr in Betrieb ist, und den neuen. Der Bahnhof ohne Bahnhofsgebäude ist der richtige.
TIPP
Wer rund um Gerswalde wandern will, kann das auch auf dem 18 km langen »Stiernseerundweg« tun. Die genaue Wegbeschreibung findet ihr HIER.
»Es gibt keine richtige Art Natur zu sehen. Es gibt hundert.«
— Kurt Tucholsky
Obwohl sie sich im Frühjahr noch mitten im Aufbau befindet, gewährt uns Fischmann Micha Einblick in seine Räucherei mit Sommerwirtschaft in Gerswalde. Auf dieser vorfrühlingshaften Wandertour durch die Uckermark begeistern uns herzliche Begegnungen und die eiszeitlich geprägte Landschaft.
Gegen Mittag betreten wir das gepflasterte Rondell vor dem alten Bahnhofsgebäude im uckermärkischen Wilmersdorf. Nur aus Gewohnheit werfen wir nochmal einen Blick auf den Busfahrplan, als uns ein Schreck durchfährt. Der Bus, der uns zum 20 Kilometer entfernten Startpunkt unserer Tour in Neudorf bringen soll, ist ein Rufbus — und wir haben vergessen, zu reservieren! Das Prinzip Rufbus kennen wir schon lange und haben es oft genutzt. Nur heute haben wir es irgendwie verpennt. Ok, was jetzt? Wie sollen wir nun nach Neudorf kommen? Wir sehen wohl ziemlich verzweifelt aus an diesem verlassenen Dorfbahnhof. Jedenfalls geht bei einem der gerade abfahrenden Autos die Tür wieder auf und ein sympathisches Gesicht lächelt uns an. Es ist Anett, die hier ihren Freund Simon vom Zug abholt. Sie ist noch ganz neu in der Gegend und bietet an, uns ein Stück mitzunehmen. »So lerne ich gleich die Umgebung noch besser kennen. Wo wollt ihr denn hin?« Wow, wir sind ganz baff von ihrer Hilfsbereitschaft. Auf der Fahrt erfahren wir, dass unsere Retter in der Not beide als Apotheker arbeiten. Sie sind etwa gleich alt wie wir und wollen an diesem Wochenende ebenfalls die Uckermark erkunden. Wie es der Zufall will hat Anett gerade eine Stelle in der Gerswalder Apotheke angetreten. Wir nehmen uns gleich vor, sie mit unserem heutigen Interviewpartner, dem Gerswalder »Fischmann« Micha, zu verknüpfen. Was für eine tolle Begegnung!
TIPP
Rufbusse müssen rechtzeitig (manchmal schon am Vortag) reserviert werden. Die genauen Angaben zu Telefonnummer, Anrufzeiten der Telefonzentrale und den Reservierungsfristen erfährt man auf dem Fahrplan bzw. im Internet unter www.vbb.de.
Von Neudorf aus laufen wir in nordwestlicher Richtung zum Stiernsee. Das heißt, eigentlich führt unser Weg nur daran vorbei. Aber es lockt eine hübsche kleine Badestelle, die wir uns genauer ansehen. Zwar haben wir bei diesem grauen, kühlen Wetter keinerlei Badelust — immerhin blühen gerade die Schneeglöckchen — wir wollen uns diesen Ort aber unbedingt für den Sommer merken. Weiter geht es im Rechtsbogen durch den Wald. Eigentlich erwarten wir zu dieser Jahreszeit keine botanischen Wunder, wir sind froh, dass die knospenden Zweige der Büsche und Bäume so langsam den Winter beenden. Doch bei dem, was da aussieht wie ganz normales Gras, müssen wir zweimal hingucken. Ist das wirklich Schnittlauch? Ja, der Geruch bestätigt unsere Vermutung, wir können bei unserem Picknick Ei mit wildem Schnittlauch genießen. (Natürlich warnen wir an dieser Stelle ausdrücklich davor, Pflanzen zu essen, die man zuvor nicht eindeutig bestimmt hat. Versteht sich ja von selbst.)
Während unserer Wanderung begleitet uns immer wieder das Knattern von Motorsägen. Heute sind wirklich viele Waldarbeiter im Einsatz. Als wir das kleine Örtchen Herrenstein erreichen, fällt uns sofort die Hotelanlage Schloss Herrenstein ins Auge. Mit Wellness, Reiten und Minigolf kann man hier sein Wochenende verbringen. Obwohl wir nicht in der 4-Sterne-Anlage in Herrenstein absteigen, übernachten auch wir in ziemlich herrschaftlichem Ambiente: in der Pension an der Wasserburg im ehemaligen Schloss Gerswalde.
Es qualmt aus den Schornsteinen zweier schwarzer Räucheröfen. Mit der flachen Hand kontrolliert Michael Wickert auf der schrägen Dachfläche der Öfen die Temperatur. Je nachdem wie warm es dort wird, muss er für mehr oder weniger Luftzufuhr sorgen. »Ich teste hier oben die Temperatur. Immer mal wieder mach ich das hier auf, lasse es wieder mehr brennen, dann mach ich wieder zu.« Der Wahlberliner, der eigentlich vom Bodensee kommt, schiebt sich seine dunkle Wollmütze aus der Stirn, geht in die Hocke und dreht den Schieberegler am unteren Ende beider Öfen. »Die Glut ist jetzt abgebrannt, da gebe ich jetzt zweierlei Holz drauf: Das hier ist Wacholderholz und das hier ist Buche«. Er zieht die Tür auf und wirft ein paar Scheite hinein. Das Wacholderholz hat wie die Beere ätherische Öle. Das gibt ein schönes Aroma, heißt es. Unten beginnt die Glut zu lodern. »Oben machen wir mal kurz auf, aber das soll nicht brennen. Ich räuchere bei relativ niedriger Temperatur. Der Fisch soll nicht zu heiß werden. 85 bis 90°C sind gut, man sollte aber auch mal auf 100°C kommen«, verrät er.
Den Fisch, es sind gut zwei Dutzend Lachsforellen, haben wir zuvor gemeinsam auf Haken gesteckt: Einmal durch das Maul fädeln, dann den Haken drehen und links und rechts der Wirbelsäule zwei kleine Dorne ins Fleisch stechen. Und unbedingt die ganze Zeit mit dem Daumen festhalten, sonst flutscht der Fisch wieder runter vom Haken. Ziemlich glitschig und irgendwie sperrig, so ein Fischkörper. »Das sind Teichfische, die sind gezüchtet, kommen aus Angermünde oder Boitzenburg,« erklärt der Fischmann die Herkunft seiner Rohware. »Die Region soll profitieren. Ich kaufe den Fischern der Umgebung den Fisch zu ’nem guten Preis ab und veredele ihn dann.«
Das Räuchern ist zeitintensiv, eineinhalb bis zwei Stunden lang steht Micha neben seinen Öfen. Länger als fünf Minuten lässt er sie nie allein. »Ich mach nochmal auf. Was man jetzt schon schön riechen kann, ist das Wacholderholz, diese Süße.« Und wie — aus dem Inneren des Ofens duftet es herrlich. Die Fische bekommen langsam eine goldene Farbe. Nach gefühlt hundertmaligem Öffnen und Schließen der Öfen, nachdem auch noch Buchenspäne zugegeben wurden und immer wieder mit der Hand die Temperatur am Dach gemessen wurde, sind die Fische irgendwann fertig und werden zum Abkühlen zwischen zwei Tischlerböcke gehängt.
GLUT & SPÄNE —
SOMMERWIRTSCHAFT
Dorfmitte 11
17268 Gerswalde
geöffnet im Sommer,
jeden Samstag ab 12 Uhr
www.glutundspaene.de
Während wir so stehen und den Fisch im Ofen betreuen kommen immer wieder Neugierige vorbei, die auch mal einen Blick auf den Räucherfisch werfen wollen. Teils sind das Nachbarn, teils Besucher von Nachbarn, die geschickt wurden »um dem Fischmann über die Schulter zu gucken«. Mit allen kommt man nett ins Gespräch, Micha erzählt von seiner Arbeit und von seinem Fisch. Und von seinem großen Vorhaben: Ab Sommer sollen sich hier auf dem Gelände der ehemaligen Schlossgärtnerei wochenends Gäste tummeln, Räucherfisch kaufen, sich mit einem kleinen gastronomischen Angebot vergnügen und eine gute Zeit haben. Bei unserem Besuch sieht alles noch gut nach Baustelle aus, aber wir erahnen, dass dieser Ort einmal bezaubernd wird. Denn als wir ein paar Schritte gehen, liegt vor uns ein großer terrassierter Garten. Trotz matschigem Boden und Winterstimmung nimmt uns das Licht, in das der Südhang getaucht ist, sofort gefangen. Die Sonne wärmt die Gartenbeete, und man hat sofort vor Augen wie schön es hier im Sommer sein muss. »Die Schlossgärtnerei gibt es ungefähr seit 150–200 Jahren,« weiß Micha über das Gelände zu berichten. Zweieinhalb Jahre werkelt er hier nun schon, hat regelmäßig helfende Freunde und Bekannte aus der Stadt zu Arbeitseinsätzen motivieren können und bezieht auch die Gerswalder mit ein.
TIPP
Wer Michas Fisch auch in Berlin genießen will, kann dies mithilfe von »Marktschwärmer« tun www.marktschwaermer.de. Außerdem kann man Micha für Caterings buchen und seinen Fisch ab Herbst in ausgesuchten Berliner Restaurants genießen. Interessierte können in Gerswalde auch einen Räucherkurs besuchen.
»Hier kommt die Sommerwirtschaft hin,« deutet er auf die aufgewühlte Erde vor einem Ziegelbau, in dem gerade Fliesen verlegt werden. »Mit einer breiten Markise. Immer samstags ab 12 Uhr kann man dann direkt aus dem Ofen die Fische kaufen, oder auch was Kleines essen«. Das klingt nach einem tollen Konzept: Samstags von Berlin aus raus aufs Land. Eine Stunde Autofahrt, zum Mittagessen ist man dann in Gerswalde. Und man muss es nicht beim Räucherfisch belassen. Zwei charmante Japanerinnen bauen gerade das nebenstehende Glashaus auf dem Gelände aus. Hier sollen bald schon Kaffee und Kuchen und typisch japanische Snacks serviert werden. Ayumi und Sayuri betreiben bisher auf dem Nachbarhof das café zum löwen und bieten ihre Köstlichkeiten dort an. Und es ist noch Platz für weitere motivierte Leute, die sich mit ihren kulinarischen Visionen hier einbringen wollen: »Da drüben steht eine Bierbrauerei, 1852–1904 betrieben. Wir suchen jemanden, der Bier braut. Und wir suchen auch jemanden, der bäckt,« wirbt Micha und strahlt dabei eine ansteckende Begeisterung für sein Projekt aus. Wie zum Beweis dafür, was Gerswalde für ein idyllischer Ort ist, dreht Micha eine Runde mit uns durch das Dorf. Vorbei an der Ruine der Wasserburg mit dem Fischereimuseum und der Heimatstube, hinter der Kirche entlang schlendern wir zu einem seiner Lieblingsorte: An an einem Gartentor stellt er uns Renate vor. Die fröhliche Dame mit dem grünen Daumen hat sich hinter ihrem Haus einen riesigen Garten angelegt. Noch liegt die Erde brach und wartet auf den Frühling. »Aber bald geht’s los, im Sommer ist das hier voll mit Auberginen, Artischocken, Kalebassen, also so großen Flaschenkürbissen«, schwärmt Renate und lädt uns ein, unbedingt in der wärmeren Jahreszeit wieder zu kommen. Zurück auf dem Gelände der Schlossgärtnerei sind wir tatsächlich ein wenig verliebt in diesen hübschen kleinen Ort und in die Menschen hier, die uns alle so offen und freundlich begegnet sind.
CAFÉ ZUM LÖWEN
Dorfmitte 7,
17268 Gerswalde
www.ayumisaito.com/zumlowen
Micha ist auch ganz begeistert, als wir von Anett, der neuen Apothekerin, erzählen. Für den Ort und gerade für die älteren Leute sei es wichtig, dass die Apotheke weiter betrieben wird. Unsere Neuigkeiten über die frisch Zugezogene sind also eine gute Nachricht. Bevor wir uns von Micha verabschieden und unsere Unterkunft beziehen, suchen wir uns für das Picknick am nächsten Tag noch zwei geräucherte Fische aus. Der Geschmack ist wirklich etwas Besonderes und meilenweit von dem entfernt, was man im Supermarkt kaufen kann. Saftig und mit ganz feinen Aromen zergeht uns der Proviant am nächsten Tag auf der Zunge.
TIPP
Micha kennt die Gegend um Gerswalde besonders gut. Besuchern der Region empfiehlt er den schönen CAMPINGPLATZ am Oberuckersee, die ÖLMÜHLE BLANKENSEE und das GUTSHAUS FRIEDENFELDE zum (Flamm-)Kuchenessen. Weitere Tipps findet ihr auf seiner WEBSITE.
»Die Region soll profitieren. Ich kaufe den Fischern der Umgebung den Fisch zu einem guten Preis ab und veredele ihn dann.«
Vermutlich ist die Gerswalder Wasserburg im 13. Jahrhundert als askanische Verteidigungsanlage errichtet worden. Fast 500 Jahre lang waren Burg und später auch Schloss dann in den Händen der Familie von Arnim, deren Nachhall einem in Brandenburg in gefühlt jedem Ort mit historischen Landsitzen begegnet. Heute ist die Burg eine — wenn auch beeindruckende — Ruine. Der namensgebende See hat sich ein ganzes Stück hinter das Gebäude zurückgezogen und reicht nicht mehr bis an die Anlage heran. Doch die Ruine ist immer noch belebt, Freiluftkino und jährliches Burgfest haben sich etabliert, und man kann sich im Gewölbekeller sogar mit Mittelalterflair das Ja-Wort geben.
PENSION AN DER WASSERBURG
Dorfmitte 17,
17268 Gerswalde
www.pension-wasserburg-uckermark.de
Beseelt von so vielen schönen Begegnungen und sehenswerten Orten verlassen wir Gerswalde am nächsten Morgen nach Nordwesten. Der blaue Himmel hinter Wolkenschlieren lässt uns den Sommer fast schon riechen, obwohl die bauschigen Weidenkätzchen noch ganz deutlich auf den Vorfrühling verweisen. Unser Weg ist abwechslungsreich, mal führen sandige Wege zwischen Kiefern hindurch, mal laufen wir im Windschutz am Waldrand entlang und blicken auf das erste Grün auf den Feldern.
Im Osten liegen die zwei Uckerseen in der eiszeitlich geformten Landschaft. Bevor wir in die Nähe von Fergitz mit seinem aufragenden Kirchturm kommen, können wir durch kahle Büsche hindurch den Oberuckersee in der Sonne glitzern sehen. Von der Anhöhe aus hat mein einen tollen Panoramablick hinunter zum See. Parallel zum Ufer führt uns der Weg zum geografischen Mittelpunkt der Uckermark, wie uns die Plakette auf einem großen Stein am Straßenrand verrät. Direkt dahinter überqueren wir die Ucker, die am Nordufer eine Verbindung zum nördlich gelegenen Unteruckersee schlägt. Jetzt ist Seehausen nicht mehr weit, bis zum Bahnhof geht es nun noch eine Weile an der Straße entlang. Google Maps zeigt hier irritierenderweise zwei Bahnhöfe — den alten, der nicht mehr in Betrieb ist, und den neuen. Der Bahnhof ohne Bahnhofsgebäude ist der richtige.
TIPP
Wer rund um Gerswalde wandern will, kann das auch auf dem 18 km langen »Stiernseerundweg« tun. Die genaue Wegbeschreibung findet ihr HIER.
»Es gibt keine richtige Art Natur zu sehen. Es gibt hundert.«
— Kurt Tucholsky