Die Tour durch die blühende Himmelpforter Heide gehört landschaftlich zu unseren Highlights des Jahres. Im Altweibersommer besuchen wir den Capriolenhof an der Regower Schleuse, eine Instanz in Sachen Ziegenkäse. Unterwegs begegnen wir Anglern und entdecken eine Traumhafte Badestelle.
Die Havel ist ein wiederkehrender Begleiter am ersten Tag unserer Tour im Fürstenberger Seenland. Über die Siggelwiesen verlassen wir das Stadtgebiet Fürstenberg am Fluss entlang. Wir laufen vorbei an der alten Eisenbahnfähre und dem Faserstoff-Gelände, die beide mittels Schautafeln an ihre militärische Nutzung während des zweiten Weltkriegs erinnern. Auf der anderen Seite des Ufers befindet sich hinter Bäumen das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Ravensbrück, heute ist dort eine Gedenkstätte. Es ist einer dieser Tage, die nach Herbst riechen, aber noch Sommer sein wollen. Die Sonne wärmt, aber im Schatten ist es schon recht kühl. Zwischen den hohen Halmen und Stängeln der Wiesen spannen sich unzählige Spinnennetze, die der Morgentau in funkelnde Perlenketten verwandelt hat. Der Altweibersommer ist Spinnenzeit.
Unsere Strecke führt zum Stolpsee mit einer idyllischen Badestelle, und weiter durch waldiges Gebiet. Nachdem sich der See wieder zur Havel verjüngt, geraten wir in ein skurriles Szenario. Direkt hinter einem Campingplatz sitzen im Abstand von fünf Metern zwei Dutzend Angler am Fluss und starren auf die Wasseroberfläche. Was machen die hier alle? Unsere neugierigen Fragen werden schweigend ignoriert. Wer Angeln geht, will seine Ruhe haben, schon klar. Von einer Anglerin im pinken T-Shirt erfahren wir schließlich, dass hier ein Wettangeln stattfindet. Jetzt, um ein Uhr mittags, kann uns noch niemand einen Fang in den bereitstehenden Plastikeimern präsentieren. Sie haben gerade erst angefangen. Stühle werden ausgeklappt, kleine Behälter mit Würmern werden bereitgestellt und die Ruten schnellen durch die Lüfte. Auf unsere Frage, was man denn hier so fangen kann, kommt ein knappes »allet, was anbeißt«. Plötze, Schleien und Karauschen seien das, meint ein anderer Sportsmann. Und was macht man dann damit? Gegrillt oder gebraten würden sie nicht. Man bringt den Fang zum Förster, der sie als Köder für Wildschweine nutzt. Unser Weg führt uns weiter an der Havel entlang, bald schon laufen wir in ein paar Metern Höhe auf einem Steilhang entlang. Auf dem Fluss schippern von Zeit zu Zeit Boote und auch Standup-Paddler ziehen vorbei. In wilden Schleifen windet sich der Fluss durch die Landschaft, in der sich Mischwäldchen und Wiesen mit Feldern abwechseln.
In dem kleinen Dorf Bredereiche überqueren wir die Havel schließlich auf einer kopfsteingepflasterten Straße. Uns ist schrecklich heiß, wir gehen jetzt schon eine ganze Zeit lang in der Mittagssonne. Doch plötzlich, als würden unsere kühnsten Wünsche erhört, sehen wir eine Eisfahne vor uns. Die gehört zum Eiscafé Undine. Die Namensgeberin und Chefin selbst bedient uns und erzählt stolz, dass sie hier seit 1990 selbstgemachtes Eis verkauft. Diese zufällige Entdeckung ist für uns ein echtes Highlight.
Nun ist es nicht mehr weit bis zum Capriolenhof. Auf sandigen Wegen gelangen wir in einen Wald, überqueren mehrere Lichtungen und erreichen nach etwa sechs Kilometern unser Etappenziel, den Hof an der Regower Schleuse — hier treffen wir letztmals auf die Havel. Sabine Denell und Hanspeter Dill haben sich hier seit 1993 einen erfolgreichen Betrieb aufgebaut, auf dem sie im Einklang mit der sie umgebenden Natur wirtschaften. Mit 10 Ziegen haben sie damals angefangen, heute sind es 180 Tiere.
Ein fröhlicher Herr in Shorts und Kapitänsmütze eilt gen Wasser über den Hof. Vor sich trägt er eine Platte mit Käsestückchen. »Das ist für das Abendbrot, hier legen viele Bootstouristen an um Käse zu kaufen,« erklärt Sabine Denell. Sie begrüßt uns lächelnd auf der Terrasse und bittet dann unter dem mächtigen Vordach hindurch in den Hofladen. Urig ist es hier, und angenehm kühl. Unser Blick bleibt an der Eistruhe hängen. Mit kleinen Probierlöffeln dürfen wir jede Sorte kosten. Das herbe Ziegenaroma passt toll zum süßen Grundgeschmack. Das Lakritzeis erklären wir zum Favoriten. Einen super Wiedererkennungswert haben allein die Namen der unterschiedlichen Sorten: Geißenpeter, Almöhi, fehlt nur die Heidi — »die ist heute schon leer«. Das Eis lässt Sabine Denell in Templin beim Eismacher ihres Vertrauens herstellen. Die Käse aber macht sie selbst. In der Käsetheke findet sich eine schöne Auswahl von Hart- bis Frischkäsen, manche mit Pflanzenasche bestäubt, manche in Kräutern gewendet. Bereits die Namen der Käse verweisen ganz klar auf den Ursprungsort: Zehdenicker Handstrich, Blühende Landschaften, Hugenottenlaib oder das Reinerle, das mit einem Reinfarnblatt besetzt ist.
CAPRIOLENHOF
Schleusenhof Regow 1
16798 Fürstenberg OT Bredereiche
www.capriolenhof.de
UNSER TIPP
Mietet Euch ein Boot für eine Tour auf der Havel, legt am Capriolenhof an und holt Euch Käse für ein Picknick.
Warum die Käse so heißen und so schmecken wie dieser Landstrich, den wir später am Tag noch besser kennen lernen, erfahren wir vom Hausherrn. Mittlerweile haben wir es uns zu dritt am Tisch auf der Terrasse gemütlich gemacht. Während wir von dem köstlichen selbstgebackenen Ziegen-Käsekuchen naschen, gesellt sich Hanspeter Dill dazu. Er kommt gerade von den Tieren, der Schweiß steht ihm noch auf der Stirn als er sich zu uns setzt. Dill ist Landwirt und kümmert sich auf dem Hof um die Tiere, das Weiden, das Melken und den Verkauf von Käse und Fleisch. »Der Käse schmeckt wie die Milch. Und in der Milch schmeckt man, was die Ziegen fressen,« erklärt er. Hinter dem Hof beweiden die Ziegen die weitläufigen Heideflächen. »Auf der Heide sind das eben auch Sträucher wie Holunder oder Kiefernblüten.« Und ganz wichtig für den guten Geschmack, so lernen wir, sei es auch, dass die Tiere keinen Stress erfahren. »Das schlägt sich sonst im Hormonhaushalt nieder und wirkt sich auf die Milch aus.«
Aus dieser Milch macht Sabine Denell dann den Käse. Eigentlich ist sie von Beruf Tierärztin. Learning by doing und der Blick in das Käsetraditionsland Frankreich seien ihre Leitprinzipien gewesen am Anfang. Aus unbehandelter Rohmilch fertigt sie alle zwei Tage ihre Spezialitäten. Rund 20 Sorten Käse entspringen ihrer Fantasie und werden unter ihren Händen geformt. Im Gewölbekeller auf dem Hof reifen die Käse dann. »Im Frühjahr werden die Käse milder als im Sommer, weil der Keller da bei 11 Grad liegt.« Bei sommerlichen 15 Grad gibt es dann einen würzigeres Aroma. Dass es dem Paar auch ums große Ganze geht und sie ihre Überzeugungen vom Leben im Einklang mit der Natur hier bei der Arbeit tagtäglich praktisch umsetzen, ist offensichtlich. Sie verfolgen einen Lebensentwurf, bei dem sie Tierhaltung und Landschaftspflege harmonisch miteinander verbinden. Denn die Ziegen sind die Landschaftsgärtner der Heide, sie erhalten diese spezielle Landschaftsform indem sie Büsche und junge Bäume abfressen, ganz natürlich.
MEHR ERFAHREN
Käse-Expertin Ursula Heinzelmann über den Capriolenhof-Käse »Blühende Landschaften« auf www.heinzelcheese.de
Bei der Vermarktung zielen Sabine Denell und Hanspeter Dill nicht auf einen Absatz an Händler wie Biomärkte, sondern stehen lieber auf eigenen Beinen. Sie verkaufen ihre Produkte auf Berliner Wochenmärkten und im Hofladen. Und dann ist da noch der Käsespezialist Fritz Blomeyer, der den Käse vom Capriolenhof für die Berliner Kundschaft in der gehobenen Gastronomie und auch in seinem Ladengeschäft verfügbar macht. Nachdem wir auch noch die deftigen Ziegenbuletten in verschiedenen Sorten kosten durften, statten wir einer Gruppe jüngerer Ziegen auf der Weide am Hof noch einen kurzen Besuch ab. Zu den Milchziegen gehen wir nicht, die fürchten sich vor Fremden und hätten sicher Angst vor uns. Nur keine gestresste Milch verursachen. Die Toggenburger Rasse kommt ursprünglich aus der Schweiz und wird auf dem Capriolenhof wegen ihrer Trittfestigkeit und Robustheit eingesetzt, und weil sie leicht zu melken ist. Die beruhigenden Kaugeräusche, das sanfte Blöken und das freundliche Wesen dieser Tiere würden wir gern noch etwas länger genießen. Aber wir müssen weiter, eine gute Strecke liegt am späten Nachmittag noch vor uns.
UNSER TIPP
Im Sommer werden auf dem Capriolenhof immer mittwochs Ziegefleisch-Grillabende mit 7-Gänge-Menü veranstaltet. Termine am besten vorher per Mail bestätigen lassen.
Nicht weit vom Schleusenhof mündet unser Weg in die Himmelpforter Heide. Jetzt, Mitte September, steht die Heide in den letzten Tagen ihrer Blüte. Der Duft ist unbeschreiblich — Spätsommersonnentag und Heideblüte. Angestrahlt vom Abendlicht öffnet sich vor uns ein Meer aus Lila, durchzogen von schnurgeraden Sandwegen. Ziemlich brüsk stören allerdings die Hinweisschilder rechts und links der Fahrspur diese romantische Stimmung: »Achtung! Beim Verlassen der Wege besteht Lebensgefahr«. Wir sind auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Tangersdorf der Sowjetischen Streitkräfte, wo immer noch Munition und Blindgänger im Boden vermutet werden.
LANDGASTHAUS &
PENSION
KLEINE SCHORFHEIDE
Annenwalde 13,
17268 Templin
www.kleineschorfheide.de
Weil wir unbedingt vor Einbruch der Dunkelheit — und vor Küchenschluss — in Annenwalde ankommen wollen, ziehen wir das Tempo an. Dieser Plan wird jedoch plötzlich sehr abenteuerlich durchkreuzt. Es gibt auf einmal ein Problem mit der Wegführung. Wir können den Pfad nicht finden, der uns laut Karte zwischen dem Großen Kramssee und dem daran anschließenden Moor hindurch führen soll. Nur übermannshohes Schilf und jede Menge Sumpf. Aber kein Weg. Wir überlegen, was wir tun sollen. Eine alternative Strecke würde einen großen Umweg bedeuten und es wird nicht mehr lange hell sein. Wieder und wieder tasten wir uns vorwärts, aber das Wasser steht einfach überall. Es hilft nichts, wir müssen zurück zum Hauptweg und die lange Schleife um den See herum nehmen, auch wenn uns die Dämmerung langsam nervös macht in dieser verlassenen Gegend. Als wir umdrehen sehen wir plötzlich etwas, das uns vorher noch nicht aufgefallen war. Da liegt ein Haufen Knochen im Gras. Große, weiße Knochen. Ein Schauer läuft uns den Rücken hinunter. Woher kommen die? Warum liegen die hier in der Sackgasse vor dem Moor? Das ist uns jetzt wirklich zu viel. Wir treten sprichwörtlich die Flucht an und eilen nun in doppeltem Tempo zum Hauptweg zurück. Erst als wir uns auf dem richtigen Weg an See und Moor entlang nach Norden wissen, fühlen wir uns langsam wieder sicherer. Das waren auf jeden Fall nur Tierknochen. Annenwalde erreichen wir im Stockdunkeln. Bei unserer Unterkunft angekommen freuen wir uns tierisch, trotz der Verspätung noch ein warmes Essen und ein kühles Bier zu bekommen.
Annenwalde hat eine Vergangenheit als Glashüttendorf. Auch heute noch gibt es für Kunstinteressierte viel zu entdecken. Der Glaskünstler Werner Kothe führt mit seiner Arbeit die über 100-jährige Tradition des Ortes fort. Andere Künstler im Ort beschäftigen sich mit Malerei, Keramik und Holzbildhauerei. Außerdem zählen ein Trabergestüt, die Dorfkirche im Schinkel-Stil und ein Weinberg zu den Sehenswürdigkeiten. Benannt ist der Ort übrigens nach der Ehefrau des Glasmachers, der hier 1754 die erste Glashütte gründete. Gleich mehrere alte Lindenalleen führen aus Annenwalde heraus. Eine davon führt uns zur Abzweigung zum Densowsee. Wir durchqueren den Skulpturenpark des Dorfes und schlendern auf einem Trampelpfad am See entlang weg vom Ort. Die jungen Linden stehen eng und biegen sich zu einem Baldachin über unseren Köpfen. Darüber hören wir die für uns ersten Kraniche der Saison trompetend gen Süden fliegen.
Im Buchenwald, den wir bald nach dem See erreichen, spannen sich alle paar Schritte Spinnweben quer über den Weg. Ein bisschen so wie in dem Laserfeld bei Ocean’s Twelve. Um uns einen Weg zu bahnen rüsten wir uns mit Ästen, die wir vor uns durch die Luft wedeln. Gut, dass uns hier niemand sieht ... Mädchen, die mit Stöcken fuchteln. Auf einem Holzsteg durchqueren wir ein Schilfmeer und kreuzen den Ragöser Bach. An einer Wiese wird uns der Weg zum »Biberblick« gewiesen. Die Mittagssonne sticht. Wir steigen den Aussichtsturm hinauf und schauen uns um. Herrliche Aussicht. Ein kleiner See hebt sich schwarzglänzend von moorigen Wiesen ab. Es ist kaum zu glauben, aber diesen See hat der Biber angelegt. Meister Bockert hat hier mit Ästen und Zweigen das Wasser des Bachs angestaut. Als Ergebnis liegt diese fünf Hektar große Seenlandschaft vor uns.
Etwas später stehen wir vor der Frage, ob ein Abstecher zum Großen Beutelsee den Umweg lohnt. Auf der Karte ist nicht zu erkennen, ob es überhaupt einen Einstieg in den See gibt, oder doch nur Schilf das Badevergnügen verhindert. Eigentlich wollen wir bei der Hitze die Strecke auch nicht noch unnötig verlängern, wir sind erschöpft. Im Örtchen Beutel befragen wir schließlich die »Locals«. Eine Dame, die hinter einer Zypressenhecke hervorschaut, trifft für uns die Entscheidung und wir geben uns einen Ruck. Zum Glück. Als wir am See ankommen, sind wir von der Badestelle völlig begeistert. Ruhige Lage am Waldrand, ein Steg hinaus auf’s Wasser, schattenspendende Bäume. Grandios.
Nach der Erfrischung im Wasser breiten wir die Picknickdecke aus und schauen uns den Proviant vom Capriolenhof genauer an. Ein geaschter Frischkäse, ein rotgeschmierter Weichkäse und ein kräftiger Schnittkäse spielen uns milde, würzigere und säuerliche Nuancen, Cremigkeit und Schärfe auf die Zungen. So richtig wohl fühlen sich die drei im Rucksack Gereisten bei der Hitze nicht mehr. Aber obwohl wir sie wirklich nicht optimal aufbewahrt haben, schmecken die Käse wunderbar. Unser Picknick auf dem Badetuch mit Blick auf den See ist ein einziger Genuss.
Ab Beutel führt der Weg dann weiter vorbei am Kleinen Beutelsee und durch kühlen Mischwald gen Süden. Als wir auf einem Feldweg die offene Landschaft durchqueren, machen wir auf dem Boden einen sehr seltenen Fund. Ein winziges bunt geschecktes Tier mit einem verstörenden Muster liegt vor uns im Sand. Es ist eine Raupe des Wolfsmilchschwärmers, diese Art gilt mittlerweile als gefährdet. Das letzte Bad des Tages nehmen wir schließlich im Röddelinsee an einer großzügigen Badewiese am Waldrand. Von dort aus führt ein kleines Sträßchen parallel zum See nach Röddelin. Im Ort lockt uns eine Gaststätte mit ihrer Aussichtsterrasse und mit Eis am Stiel. Nach Templin ist es von hier aus noch eine gute Stunde zu Fuß — aber die sparen wir uns. Ausnahmsweise nehmen wir für die letzten Kilometer den Bus. Das muss einfach auch mal sein.
»Es gibt keinen Weg, der Weg wird durch das Gehen geschaffen.«
— Antonio Machado
Die Tour durch die blühende Himmelpforter Heide gehört landschaftlich zu unseren Highlights des Jahres. Im Altweibersommer besuchen wir den Capriolenhof an der Regower Schleuse, eine Instanz in Sachen Ziegenkäse. Unterwegs begegnen wir Anglern und entdecken eine Traumhafte Badestelle.
Die Havel ist ein wiederkehrender Begleiter am ersten Tag unserer Tour im Fürstenberger Seenland. Über die Siggelwiesen verlassen wir das Stadtgebiet Fürstenberg am Fluss entlang. Wir laufen vorbei an der alten Eisenbahnfähre und dem Faserstoff-Gelände, die beide mittels Schautafeln an ihre militärische Nutzung während des zweiten Weltkriegs erinnern. Auf der anderen Seite des Ufers befindet sich hinter Bäumen das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Ravensbrück, heute ist dort eine Gedenkstätte. Es ist einer dieser Tage, die nach Herbst riechen, aber noch Sommer sein wollen. Die Sonne wärmt, aber im Schatten ist es schon recht kühl. Zwischen den hohen Halmen und Stängeln der Wiesen spannen sich unzählige Spinnennetze, die der Morgentau in funkelnde Perlenketten verwandelt hat. Der Altweibersommer ist Spinnenzeit.
Unsere Strecke führt zum Stolpsee mit einer idyllischen Badestelle, und weiter durch waldiges Gebiet. Nachdem sich der See wieder zur Havel verjüngt, geraten wir in ein skurriles Szenario. Direkt hinter einem Campingplatz sitzen im Abstand von fünf Metern zwei Dutzend Angler am Fluss und starren auf die Wasseroberfläche. Was machen die hier alle? Unsere neugierigen Fragen werden schweigend ignoriert. Wer Angeln geht, will seine Ruhe haben, schon klar. Von einer Anglerin im pinken T-Shirt erfahren wir schließlich, dass hier ein Wettangeln stattfindet. Jetzt, um ein Uhr mittags, kann uns noch niemand einen Fang in den bereitstehenden Plastikeimern präsentieren. Sie haben gerade erst angefangen. Stühle werden ausgeklappt, kleine Behälter mit Würmern werden bereitgestellt und die Ruten schnellen durch die Lüfte. Auf unsere Frage, was man denn hier so fangen kann, kommt ein knappes »allet, was anbeißt«. Plötze, Schleien und Karauschen seien das, meint ein anderer Sportsmann. Und was macht man dann damit? Gegrillt oder gebraten würden sie nicht. Man bringt den Fang zum Förster, der sie als Köder für Wildschweine nutzt. Unser Weg führt uns weiter an der Havel entlang, bald schon laufen wir in ein paar Metern Höhe auf einem Steilhang entlang. Auf dem Fluss schippern von Zeit zu Zeit Boote und auch Standup-Paddler ziehen vorbei. In wilden Schleifen windet sich der Fluss durch die Landschaft, in der sich Mischwäldchen und Wiesen mit Feldern abwechseln.
In dem kleinen Dorf Bredereiche überqueren wir die Havel schließlich auf einer kopfsteingepflasterten Straße. Uns ist schrecklich heiß, wir gehen jetzt schon eine ganze Zeit lang in der Mittagssonne. Doch plötzlich, als würden unsere kühnsten Wünsche erhört, sehen wir eine Eisfahne vor uns. Die gehört zum Eiscafé Undine. Die Namensgeberin und Chefin selbst bedient uns und erzählt stolz, dass sie hier seit 1990 selbstgemachtes Eis verkauft. Diese zufällige Entdeckung ist für uns ein echtes Highlight.
Nun ist es nicht mehr weit bis zum Capriolenhof. Auf sandigen Wegen gelangen wir in einen Wald, überqueren mehrere Lichtungen und erreichen nach etwa sechs Kilometern unser Etappenziel, den Hof an der Regower Schleuse — hier treffen wir letztmals auf die Havel. Sabine Denell und Hanspeter Dill haben sich hier seit 1993 einen erfolgreichen Betrieb aufgebaut, auf dem sie im Einklang mit der sie umgebenden Natur wirtschaften. Mit 10 Ziegen haben sie damals angefangen, heute sind es 180 Tiere.
CAPRIOLENHOF
Schleusenhof Regow 1
16798 Fürstenberg OT Bredereiche
www.capriolenhof.de
Ein fröhlicher Herr in Shorts und Kapitänsmütze eilt gen Wasser über den Hof. Vor sich trägt er eine Platte mit Käsestückchen. »Das ist für das Abendbrot, hier legen viele Bootstouristen an um Käse zu kaufen,« erklärt Sabine Denell. Sie begrüßt uns lächelnd auf der Terrasse und bittet dann unter dem mächtigen Vordach hindurch in den Hofladen. Urig ist es hier, und angenehm kühl. Unser Blick bleibt an der Eistruhe hängen. Mit kleinen Probierlöffeln dürfen wir jede Sorte kosten. Das herbe Ziegenaroma passt toll zum süßen Grundgeschmack. Das Lakritzeis erklären wir zum Favoriten. Einen super Wiedererkennungswert haben allein die Namen der unterschiedlichen Sorten: Geißenpeter, Almöhi, fehlt nur die Heidi — »die ist heute schon leer«. Das Eis lässt Sabine Denell in Templin beim Eismacher ihres Vertrauens herstellen. Die Käse aber macht sie selbst. In der Käsetheke findet sich eine schöne Auswahl von Hart- bis Frischkäsen, manche mit Pflanzenasche bestäubt, manche in Kräutern gewendet. Bereits die Namen der Käse verweisen ganz klar auf den Ursprungsort: Zehdenicker Handstrich, Blühende Landschaften, Hugenottenlaib oder das Reinerle, das mit einem Reinfarnblatt besetzt ist.
Warum die Käse so heißen und so schmecken wie dieser Landstrich, den wir später am Tag noch besser kennen lernen, erfahren wir vom Hausherrn. Mittlerweile haben wir es uns zu dritt am Tisch auf der Terrasse gemütlich gemacht. Während wir von dem köstlichen selbstgebackenen Ziegen-Käsekuchen naschen, gesellt sich Hanspeter Dill dazu. Er kommt gerade von den Tieren, der Schweiß steht ihm noch auf der Stirn als er sich zu uns setzt. Dill ist Landwirt und kümmert sich auf dem Hof um die Tiere, das Weiden, das Melken und den Verkauf von Käse und Fleisch. »Der Käse schmeckt wie die Milch. Und in der Milch schmeckt man, was die Ziegen fressen,« erklärt er. Hinter dem Hof beweiden die Ziegen die weitläufigen Heideflächen. »Auf der Heide sind das eben auch Sträucher wie Holunder oder Kiefernblüten.« Und ganz wichtig für den guten Geschmack, so lernen wir, sei es auch, dass die Tiere keinen Stress erfahren. »Das schlägt sich sonst im Hormonhaushalt nieder und wirkt sich auf die Milch aus.«
UNSER TIPP
Mietet Euch ein Boot für eine Tour auf der Havel, legt am Capriolenhof an und holt Euch Käse für ein Picknick.
Aus dieser Milch macht Sabine Denell dann den Käse. Eigentlich ist sie von Beruf Tierärztin. Learning by doing und der Blick in das Käsetraditionsland Frankreich seien ihre Leitprinzipien gewesen am Anfang. Aus unbehandelter Rohmilch fertigt sie alle zwei Tage ihre Spezialitäten. Rund 20 Sorten Käse entspringen ihrer Fantasie und werden unter ihren Händen geformt. Im Gewölbekeller auf dem Hof reifen die Käse dann. »Im Frühjahr werden die Käse milder als im Sommer, weil der Keller da bei 11 Grad liegt.« Bei sommerlichen 15 Grad gibt es dann einen würzigeres Aroma. Dass es dem Paar auch ums große Ganze geht und sie ihre Überzeugungen vom Leben im Einklang mit der Natur hier bei der Arbeit tagtäglich praktisch umsetzen, ist offensichtlich. Sie verfolgen einen Lebensentwurf, bei dem sie Tierhaltung und Landschaftspflege harmonisch miteinander verbinden. Denn die Ziegen sind die Landschaftsgärtner der Heide, sie erhalten diese spezielle Landschaftsform indem sie Büsche und junge Bäume abfressen, ganz natürlich.
MEHR ERFAHREN
Käse-Expertin Ursula Heinzelmann über den Capriolenhof-Käse »Blühende Landschaften« auf www.heinzelcheese.de
UNSER TIPP
Im Sommer werden auf dem Capriolenhof immer mittwochs Ziegefleisch-Grillabende mit 7-Gänge-Menü veranstaltet. Termine am besten vorher per Mail bestätigen lassen.
Bei der Vermarktung zielen Sabine Denell und Hanspeter Dill nicht auf einen Absatz an Händler wie Biomärkte, sondern stehen lieber auf eigenen Beinen. Sie verkaufen ihre Produkte auf Berliner Wochenmärkten und im Hofladen. Und dann ist da noch der Käsespezialist Fritz Blomeyer, der den Käse vom Capriolenhof für die Berliner Kundschaft in der gehobenen Gastronomie und auch in seinem Ladengeschäft verfügbar macht. Nachdem wir auch noch die deftigen Ziegenbuletten in verschiedenen Sorten kosten durften, statten wir einer Gruppe jüngerer Ziegen auf der Weide am Hof noch einen kurzen Besuch ab. Zu den Milchziegen gehen wir nicht, die fürchten sich vor Fremden und hätten sicher Angst vor uns. Nur keine gestresste Milch verursachen. Die Toggenburger Rasse kommt ursprünglich aus der Schweiz und wird auf dem Capriolenhof wegen ihrer Trittfestigkeit und Robustheit eingesetzt, und weil sie leicht zu melken ist. Die beruhigenden Kaugeräusche, das sanfte Blöken und das freundliche Wesen dieser Tiere würden wir gern noch etwas länger genießen. Aber wir müssen weiter, eine gute Strecke liegt am späten Nachmittag noch vor uns.
Nicht weit vom Schleusenhof mündet unser Weg in die Himmelpforter Heide. Jetzt, Mitte September, steht die Heide in den letzten Tagen ihrer Blüte. Der Duft ist unbeschreiblich — Spätsommersonnentag und Heideblüte. Angestrahlt vom Abendlicht öffnet sich vor uns ein Meer aus Lila, durchzogen von schnurgeraden Sandwegen. Ziemlich brüsk stören allerdings die Hinweisschilder rechts und links der Fahrspur diese romantische Stimmung: »Achtung! Beim Verlassen der Wege besteht Lebensgefahr«. Wir sind auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Tangersdorf der Sowjetischen Streitkräfte, wo immer noch Munition und Blindgänger im Boden vermutet werden.
Weil wir unbedingt vor Einbruch der Dunkelheit — und vor Küchenschluss — in Annenwalde ankommen wollen, ziehen wir das Tempo an. Dieser Plan wird jedoch plötzlich sehr abenteuerlich durchkreuzt. Es gibt auf einmal ein Problem mit der Wegführung. Wir können den Pfad nicht finden, der uns laut Karte zwischen dem Großen Kramssee und dem daran anschließenden Moor hindurch führen soll. Nur übermannshohes Schilf und jede Menge Sumpf. Aber kein Weg. Wir überlegen, was wir tun sollen. Eine alternative Strecke würde einen großen Umweg bedeuten und es wird nicht mehr lange hell sein. Wieder und wieder tasten wir uns vorwärts, aber das Wasser steht einfach überall. Es hilft nichts, wir müssen zurück zum Hauptweg und die lange Schleife um den See herum nehmen, auch wenn uns die Dämmerung langsam nervös macht in dieser verlassenen Gegend. Als wir umdrehen sehen wir plötzlich etwas, das uns vorher noch nicht aufgefallen war. Da liegt ein Haufen Knochen im Gras. Große, weiße Knochen. Ein Schauer läuft uns den Rücken hinunter. Woher kommen die? Warum liegen die hier in der Sackgasse vor dem Moor? Das ist uns jetzt wirklich zu viel. Wir treten sprichwörtlich die Flucht an und eilen nun in doppeltem Tempo zum Hauptweg zurück. Erst als wir uns auf dem richtigen Weg an See und Moor entlang nach Norden wissen, fühlen wir uns langsam wieder sicherer. Das waren auf jeden Fall nur Tierknochen. Annenwalde erreichen wir im Stockdunkeln. Bei unserer Unterkunft angekommen freuen wir uns tierisch, trotz der Verspätung noch ein warmes Essen und ein kühles Bier zu bekommen.
LANDGASTHAUS &
PENSION
KLEINE SCHORFHEIDE
Annenwalde 13,
17268 Templin
www.kleineschorfheide.de
Annenwalde hat eine Vergangenheit als Glashüttendorf. Auch heute noch gibt es für Kunstinteressierte viel zu entdecken. Der Glaskünstler Werner Kothe führt mit seiner Arbeit die über 100-jährige Tradition des Ortes fort. Andere Künstler im Ort beschäftigen sich mit Malerei, Keramik und Holzbildhauerei. Außerdem zählen ein Trabergestüt, die Dorfkirche im Schinkel-Stil und ein Weinberg zu den Sehenswürdigkeiten. Benannt ist der Ort übrigens nach der Ehefrau des Glasmachers, der hier 1754 die erste Glashütte gründete. Gleich mehrere alte Lindenalleen führen aus Annenwalde heraus. Eine davon führt uns zur Abzweigung zum Densowsee. Wir durchqueren den Skulpturenpark des Dorfes und schlendern auf einem Trampelpfad am See entlang weg vom Ort. Die jungen Linden stehen eng und biegen sich zu einem Baldachin über unseren Köpfen. Darüber hören wir die für uns ersten Kraniche der Saison trompetend gen Süden fliegen.
Im Buchenwald, den wir bald nach dem See erreichen, spannen sich alle paar Schritte Spinnweben quer über den Weg. Ein bisschen so wie in dem Laserfeld bei Ocean’s Twelve. Um uns einen Weg zu bahnen rüsten wir uns mit Ästen, die wir vor uns durch die Luft wedeln. Gut, dass uns hier niemand sieht ... Mädchen, die mit Stöcken fuchteln. Auf einem Holzsteg durchqueren wir ein Schilfmeer und kreuzen den Ragöser Bach. An einer Wiese wird uns der Weg zum »Biberblick« gewiesen. Die Mittagssonne sticht. Wir steigen den Aussichtsturm hinauf und schauen uns um. Herrliche Aussicht. Ein kleiner See hebt sich schwarzglänzend von moorigen Wiesen ab. Es ist kaum zu glauben, aber diesen See hat der Biber angelegt. Meister Bockert hat hier mit Ästen und Zweigen das Wasser des Bachs angestaut. Als Ergebnis liegt diese fünf Hektar große Seenlandschaft vor uns.
Etwas später stehen wir vor der Frage, ob ein Abstecher zum Großen Beutelsee den Umweg lohnt. Auf der Karte ist nicht zu erkennen, ob es überhaupt einen Einstieg in den See gibt, oder doch nur Schilf das Badevergnügen verhindert. Eigentlich wollen wir bei der Hitze die Strecke auch nicht noch unnötig verlängern, wir sind erschöpft. Im Örtchen Beutel befragen wir schließlich die »Locals«. Eine Dame, die hinter einer Zypressenhecke hervorschaut, trifft für uns die Entscheidung und wir geben uns einen Ruck. Zum Glück. Als wir am See ankommen, sind wir von der Badestelle völlig begeistert. Ruhige Lage am Waldrand, ein Steg hinaus auf’s Wasser, schattenspendende Bäume. Grandios.
Nach der Erfrischung im Wasser breiten wir die Picknickdecke aus und schauen uns den Proviant vom Capriolenhof genauer an. Ein geaschter Frischkäse, ein rotgeschmierter Weichkäse und ein kräftiger Schnittkäse spielen uns milde, würzigere und säuerliche Nuancen, Cremigkeit und Schärfe auf die Zungen. So richtig wohl fühlen sich die drei im Rucksack Gereisten bei der Hitze nicht mehr. Aber obwohl wir sie wirklich nicht optimal aufbewahrt haben, schmecken die Käse wunderbar. Unser Picknick auf dem Badetuch mit Blick auf den See ist ein einziger Genuss.
Ab Beutel führt der Weg dann weiter vorbei am Kleinen Beutelsee und durch kühlen Mischwald gen Süden. Als wir auf einem Feldweg die offene Landschaft durchqueren, machen wir auf dem Boden einen sehr seltenen Fund. Ein winziges bunt geschecktes Tier mit einem verstörenden Muster liegt vor uns im Sand. Es ist eine Raupe des Wolfsmilchschwärmers, diese Art gilt mittlerweile als gefährdet. Das letzte Bad des Tages nehmen wir schließlich im Röddelinsee an einer großzügigen Badewiese am Waldrand. Von dort aus führt ein kleines Sträßchen parallel zum See nach Röddelin. Im Ort lockt uns eine Gaststätte mit ihrer Aussichtsterrasse und mit Eis am Stiel. Nach Templin ist es von hier aus noch eine gute Stunde zu Fuß — aber die sparen wir uns. Ausnahmsweise nehmen wir für die letzten Kilometer den Bus. Das muss einfach auch mal sein.
»Es gibt keinen Weg, der Weg wird durch das Gehen geschaffen.«
— Antonio Machado